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Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Nach dem Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Farris Smith
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stehen.
    Aggie befahl ihnen, die Augen zu schließen, und dann sprach er mit seiner rauen Stimme ein Gebet. Er dankte Gott dafür, dass er ihnen einen Ort geschenkt hatte, an dem sie leben, lieben, atmen und sich vor dem Unwetter in Sicherheit bringen konnten. Gott, wir danken dir, dass wir auf hoch gelegenem Gelände sind und dass wir zu essen haben und dass wir ein Feuer haben, um unsere Hände zu wärmen, und dass wir nachts vor den Wölfen sicher sind, die das Land durchstreifen und nach frischer Beute suchen. Gott, wir danken dir, dass du uns dieses wunderschöne Kind geschickt hast und unsere Familie durch dieses Kind vergrößert wurde, und dafür, dass wir in diesem Kind heute, morgen und für immer das Licht sehen, das du auf uns scheinen lässt, denn es ist deine Botschaft an uns, dass du uns liebst und deine Zustimmung gibst für alles, was geschehen ist. Dieser Ort ist unsere Heimat, und der Wind ist deine Macht, und ich werde nicht zögern, all jene zur Strecke zu bringen, die sich gegen mich oder dich erheben. Nein, ich werde bestimmt nicht zögern, zurückzuschlagen.«
    Es war fast ganz dunkel, und ein unheilvolles, düsteres Grau umgab sie. Der Regen fiel senkrecht herab. Aggie zog die Kapuze vom Kopf und ließ ihn auf sein Gesicht und seinen Kopf prasseln. Während er betete, strich er über den Knauf seines Revolvers, der aus seinem Hosenbund ragte. Sein Gesichtsausdruck wurde immer angespannter, und er hob die Faust gen Himmel, legte den Kopf zurück, schloss die Augen und versenkte sich in sein Gebet. Er ließ den Revolver los und streckte beide Hände aus und war jetzt in Gedanken wieder vor seiner Gemeinde, und die Gesänge und die Orgelklänge hüllten ihn ein, und er bewegte die Arme, als ob er tanzen wollte, mit einer unsichtbaren Schlange in der Hand, deren geschmeidiger, giftiger Körper sich mit seinem vereinte. Die Hitze in der kleinen Kapelle im Einkaufszentrum umfing ihn, genau wie die Energie der singenden und lobpreisenden Menschen vor ihm, die in einer nicht näher bestimmbaren Sprache zu ihm sprachen, während er die unsichtbare Schlange über seine Arme und über seinen Hals gleiten ließ, über seine Brust und seine Hände, und die ganze Zeit zu seinem Gott betete, denn du bist die Kraft und die Herrlichkeit, und dieses Land gehört dir, du hast es hervorgebracht, du hast uns hervorgebracht, bitte befreie uns, und wasche alles hinfort, was unrein ist, und gib mir die Kraft, dass ich so stark sein kann wie du, damit wir dieses Land in Besitz nehmen können und uns vermehren, zusammen mit den Tieren, und für dich die Söhne des Donners zeugen.
    Er machte immer weiter, sprach voller Hingabe, seine Nackenmuskeln spannten sich an, und er rang Arme und Hände, verdrehte die Schlange wie ein nasses Handtuch und spürte, wie das Bedürfnis in ihm wuchs, jemanden zu töten. Und er betete dafür, dass er die Kraft finden möge, mit aller Macht gegen jene vorzugehen, die seinen Weg anzweifelten, denn mein Weg ist auch dein Weg, lieber Gott. Dabei verlor er sich so sehr in seiner eigenen Macht, dass er nicht merkte, wie die Frauen auf ihn zuliefen und ihn, noch bevor er aus dem Taumel seines Gebets herausfand, zu Boden warfen, ihn an Armen und Beinen festhielten und ihm den eigenen Revolver gegen die Lippen drückten, als wäre es der Kuss eines zornigen Liebhabers. Und die Schlange war längst schon davongekrochen.

22
    Niemand wusste, was sie nun mit ihm machen sollten. So weit hatten sie noch gar nicht gedacht. Einige wollten ihn sofort töten, mit seiner eigenen Waffe. Andere wollten ihn einsperren und hungern lassen. Andere wollten ihm seine Männlichkeit abschneiden und sie den Geiern zum Fraß vorwerfen und dann, wenn er verblutet war, das Gleiche mit ihm tun.
    Mit Cohens und Evans Hilfe hatten sie ihn an den Viehtransporter gebunden, der draußen auf dem Feld stand. Dort saß er nun mit ausgebreiteten Armen auf dem Boden und war an Handgelenken, Ellbogen, um den Hals und um die Brust gefesselt.
    Sie nahmen Ava das Baby ab und machten ihr klar, dass sie sich entscheiden musste. Entweder mit Aggie sterben oder mit uns leben. Sie entschied, dass sie lieber weiterleben wollte. Kaum hatte sie das erklärt, machten sich zwei von den Frauen, die nicht schwanger waren, daran, die Schlüssel durchzusehen, die sie Aggie abgenommen hatten. Sie fanden die Schlüssel zu einem der Pick-ups, von dem sie wussten, dass er noch fuhr. Ohne ein Wort zu sagen, ohne irgendwelche Sachen zusammenzupacken,

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