Nach dem Sturm: Roman (German Edition)
die beiden sich ab und gingen zurück zu den anderen.
Cohen ließ sie ein paar Schritte gehen, dann sagte er: »He.«
Sie hielten an und drehten sich zu ihm um.
»Das Mädchen. Wie heißt sie eigentlich?«
»Mariposa.«
Evan wandte sich wieder zum Gehen, aber Cohen rief noch mal nach ihm. Als die beiden anhielten, ging er zu ihnen. Er griff in seine Brusttasche und zog das Paar Babysocken heraus. Er gab sie Evan und sagte ihm, er solle sie der Frau geben, die gerade das Baby hat.
Die Frauen warteten den ganzen Tag darauf, dass etwas passierte. Joe war nun schon seit einigen Tagen weg, und die Frauen waren klug genug, um zu verstehen, dass er nicht mehr zurückkommen würde. Selbst wenn er wiederkäme, war er jetzt jedenfalls nicht da, und ihre Aufpasser waren um die Hälfte dezimiert. Sie wussten nicht, was sie von dem Mann mit der Schusswunde am Bein halten sollten, aber er schien sich nicht für das, was hier los war, zu interessieren. Er trug einen gleichgültigen Gesichtsausdruck zur Schau, den sie auch alle aufgesetzt hatten, als ihnen, während Lorna schrie, klargeworden war, dass sie das gleiche traurige Schicksal erwartete. Man kann sich an alles gewöhnen. Das war jeder von ihnen inzwischen deutlich bewusst, und sie nahmen es hin. Aber nun lag auf einmal ein neuer Glanz auf diesem sonnenbeschienenen Tag, jetzt, nachdem Joe verschwunden war, dieses Baby um sein Leben gekämpft hatte und Lorna tot war. Jetzt erwachte der Widerstandsgeist in ihnen, und sie schauten einander an und gaben sich mit Blicken zu verstehen, dass es nicht so weitergehen konnte.
Sie achteten darauf, was sie in Gegenwart von Ava sagten, denn sie hatte ja schon mit Aggie zusammengearbeitet, bevor sie dazu kamen. Manchmal gingen sie in Gruppen von zwei oder drei Personen umher, auf dem Feld oder um die Feuerstelle herum, und sprachen mit gesenkter Stimme miteinander wie Leute, die einen Plan verfolgten oder Angst hatten oder beides. In ihren Gesichtern konnte man die Angst sehen, aber auch noch etwas anderes. Sie hatten in der Nacht die Schreie gehört. Sie wussten ganz genau, wie sehr Lorna gelitten hatte. Und weil sie wussten, dass es ein Kampf mit unerträglichen Schmerzen war, waren sie nicht im Geringsten daran interessiert, das Gleiche wie Lorna durchzumachen. Mit angespanntem Gesichtsausdruck sprachen sie miteinander darüber, wann wohl der richtige Moment gekommen sei. In ihren Stimmen schwang Furcht mit, sie waren verängstigt, aber sie waren sich alle einig, dass die erste Entbindung an diesem Ort auch die letzte sein sollte. Und wenn wir etwas dagegen tun können, dann jetzt. Wer weiß, ob sich jemals wieder eine so gute Gelegenheit bietet.
Der Nachmittag schritt voran, und der klare Himmel verschwand. Ein leichter Regen fiel, und dichte graue Wolken ballten sich über dem Golf zusammen und kündigten noch mehr davon an. Die Frauen sprachen jetzt weniger, schienen sich mehr mit den Augen und ihrer Mimik zu verständigen. Alle drückten das Gleiche aus. Er ist nur ein einzelner Mann, und das hier muss endlich aufhören. Den ganzen Tag über, während sie Holz sammelten und die Äste in den Vorratswagen stapelten, das Essen kochten oder ihre Kleider in Blecheimern wuschen, gingen sie berechnend wie Roboter herum, warfen sich Blicke zu, als würde in ihren Köpfen eine Art Countdown ablaufen.
Cohen saß auf einem Betonblock und hatte das eine Bein ausgestreckt. Mariposa war zweimal zu ihm gekommen und hatte sich neben ihn gesetzt, und zweimal hatte Aggie ihr befohlen, aufzustehen und den anderen zu helfen.
Die Dämmerung brach herein, der Regen fiel jetzt stetig, und alles war grau. Sie liefen in ihren langen Mänteln umher, mit aufgesetzten Kapuzen und hängenden Schultern, wie Menschen, die nicht nur Stunden und Tage, sondern schon wochenlang dem Regen ausgesetzt waren.
Aggie rief Cohen zu sich, damit er ihm half, einen Wohnwagen an einen Pick-up zu koppeln. Cohen stand auf und humpelte auf das Feld, wo Pick-up und Anhänger standen.
Es war ein drei Meter langer Wohnwagen, und man benötigte keine zwei Männer, um ihn anzukoppeln. Cohen stand nur daneben, während Aggie den Wohnwagen auf die Kupplung setzte. Als er fertig war, richtete er sich auf, wischte sich das Regenwasser aus dem Gesicht und sagte: »Nur, dass du’s weißt. Ich muss vielleicht ein Exempel statuieren, noch bevor der Tag vorbei ist. Ich mag nicht, wie die alle gucken. Die Geburt hat sie in Unruhe versetzt. Sie sollten eher Freude empfinden, als
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