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Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Nach dem Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Farris Smith
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erreichte. Er kniete sich hin und streichelte seinen feuchten Kopf. Der Körper war kalt und steif. Er ging an den Straßenrand und begann zu graben. Die Erde war nass und gab nach. Als das Loch groß genug war, legte er den Kadaver hinein und schaufelte Erde und Steine darüber. Er sagte, tut mir leid, dass ich dich da mit reingezogen habe, senkte den Kopf und sagte Amen.
    Er griff wieder nach der Schaufel, ging ein paar Meter vom Grab des Hundes weg und stieß die Schaufel in den Boden. Er grub und grub und quälte sich mit dem Wasser herum, das immer wieder ins Loch hineinlief, aber schließlich kam er ein Stück tiefer, und von da an war es leichter, die Grube auszuheben. Er arbeitete ungefähr eine Stunde, am Schluss stand er selbst in der Grube, die jetzt gut einen Meter tief war. Er entschied, dass sie lang und tief genug war, warf die Schaufel beiseite, kletterte aus dem Loch und ging zurück zum Schotterweg, der zu den Wohnwagen führte. In den Trailern waren die Lichter aus, nur in ihrem nicht. Seine Hände schmerzten und waren wund. Er wischte sie an seinen nassen Hosen ab. Dann ging er in den Wohnwagen, in dem Lorna lag. Er machte die Tür auf und tastete den Fußboden ab, bis er eine Decke fand. Er war froh, dass es dunkel war und er sie nicht ansehen musste. Er breitete die Decke neben ihr aus und rollte ihre Leiche darauf, dann wickelte er sie ein. Er achtet darauf, dass er ihren Kopf und ihre Füße bedeckte, als wollte er auf diese Weise ihre Würde bewahren. Sie war schwerer, als er gedacht hatte, aber es gelang ihm, sie unter den Achseln und den Knien zu fassen und aus dem Trailer raus in den Regen zu schleppen. Er schaute nach drüben. Mariposas Licht war jetzt aus.
    Aber sie beobachtete ihn heimlich durchs Fenster.
    Als er in der Dunkelheit verschwunden war, zündete sie eine Kerze an und wandte sich der Plastiktüte zu, die sie neben ihre Matratze gelegt hatte. Darin waren die Kleider, die sie aus Elisas Schrank genommen hatte. Drei davon breitete sie auf der Matratze aus. Ein weißes Sommerkleid, ein schwarzes mit langen Ärmeln und Ausschnitt und eins in blassem Blau mit rosa Blümchen, das aussah, als würde man es zu Ostern mit einer Haube kombinieren. Sie trat zurück und bewunderte die Kleidungsstücke. Sie stellte sich vor, an welchen Orten sie getragen wurden. Zu welchen Gelegenheiten man sie anzog. Stellte sich vor, wie Cohen ihr beim Ausziehen geholfen hatte. Sie legte das Kinn auf die Handfläche und überlegte. Nach einer Weile zog sie sich aus. Das Kerzenlicht flackerte, es war kalt, und sie bekam Gänsehaut an Armen und Beinen. Sie griff nach dem schwarzen Kleid und zog es an.

23
    In seiner Notlage konnte Aggie nichts weiter tun, als nachzudenken. Und das tat er. Er erinnerte sich an schweißtreibende Nächte in verschwitzten Räumen mit glitschigen Schlangen, die über seine Arme und um seinen Hals und seine Hüften krochen, während die Orgel ertönte und die Menschen laut sangen. Erinnerte sich daran, wie sehr sie davon bewegt waren, und dass die Männer ihm die Hand schütteln, die Frauen sich von ihm führen lassen wollten, und wie sie ihm gefolgt waren, und wie gut es sich angefühlt hatte, dass sie immer nur nickten, wenn er etwas von ihnen verlangte. Er erinnerte sich an die Faustschläge, die er in irgendwelchen Bars abbekommen hatte, an berauschte Whiskeynächte, an Sommernächte und die Zeit im Gefängnis, als er durch ein kleines, quadratisches Fenster in den dunklen Himmel starrte und das Gefühl hatte, ganz weit unten angekommen zu sein.
    Er erinnerte sich an das Durcheinander während der Evakuierungen, und wie lebendig er sich inmitten dieser Panik gefühlt hatte. Und er erinnerte sich an die Zeit, als er noch ein Junge war, und wie der Mann, mit dem sie lebten, seine Mutter gegen die Wand schleuderte. Und an das Messer, das er diesem Mann ins Bein stieß, als er später auf dem Sofa schlief, und er erinnerte sich an das Geräusch, das die Klinge gemacht hatte, als sie ins Fleisch eindrang. Er erinnerte sich, wie viel Arbeit er hineingesteckt hatte, um eine Gemeinschaft zu gründen, und an das Geschrei des neugeborenen Kindes und an das reine Licht der aufgehenden Sonne am Morgen nach dem Sturm. Er saß da, an den Anhänger gefesselt, der Regen prasselte unaufhörlich auf ihn, als wäre er nichts weiter als ein Baumstumpf, und er merkte, wie der Donner ihn rief, mit einer Stimme, die von weit her kam und sich in einer Sprache an ihn wandte, die nur er verstehen

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