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Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Nach dem Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Farris Smith
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verschränkte die Arme. Starrte den nassen Erdhügel an, dann zum schiefergrauen Horizont, und kam wieder zu den anderen ans Feuer zurück.
    Nach einer halben Stunde brannte das Feuer hoch, und sie hockten sich darum, genossen ihre neu gewonnene Freiheit und aßen von gut gefüllten Tellern. Leere Dosen gebackener Bohnen, Süßkartoffeln, Mais und was sie sonst gern aßen, lagen um sie herum. Sie nahmen sich einfach, was sie wollten. Einige tranken Bier, andere Cola. Manche rauchten Zigaretten. Alle dachten an den nächsten Tag. Die Schlüssel zu den Fahrzeugen und Wohnwagen lagen auf dem Tisch, als hätten sie beschlossen, dass sie niemandem anvertraut werden sollten.
    Eine Frau namens Kris hielt das Baby fest und versuchte, ihm die Flasche zu geben. Der Kleine wollte aber nicht, strampelte und jammerte.
    »Der braucht mal ’ne schöne Brust«, sagte Nadine. Sie hatte eine Narbe auf der Stirn, lange Beine und ein spitzes Kinn. Sie trug Schnürstiefel, in die sie ihre Hosenbeine gesteckt hatte. Ava saß bei ihnen und trank Kaffee.
    »Na ja«, sagte Kris und stellte das Fläschchen auf den Boden. Sie hatte kleine Hände, eng stehende Augen und war im sechsten Monat schwanger. »Er wird aber keine kriegen. Jedenfalls keine, die ihm was bringt.« Sie steckte dem Baby einen Finger in den Mund, und es saugte daran, schloss die Augen und saugte so lange, bis es eingeschlafen war.
    »Meine haben das nie getan«, sagte Ava. Sie aß aus einer Dose mit grünen Bohnen.
    »Deine? Hast du Kinder?«, fragte Nadine.
    »Irgendwo. Zwei Jungs. Ich hab schon seit gut zwanzig Jahren nichts mehr von ihnen gehört.«
    »Verdammt«, sagte Nadine. »Ich hab meine Mama immer gehasst, aber ich hab sie ab und zu mal angerufen.« Sie streckte die langen Beine aus und schlug sie übereinander. Ihr schmutzigblondes Haar war kurz und unregelmäßig geschnitten, und sie sprach mit einer knurrigen Stimme, die man vielleicht auf einem Rollschuhwettbewerb auf einem Jahrmarkt vermutet hätte.
    »Ich hab nicht gesagt, dass sie mich hassen«, erwiderte Ava. »Ich hab nur gesagt, dass ich nicht weiß, wo sie sind.«
    »Das ist doch das Gleiche«, sagte Nadine.
    Ava zuckte mit den Schultern. Schaute ihre runzeligen, fleckigen Hände an. »Vielleicht«, sagte sie.
    Kris summte ein Lied, während sie das schlafende Baby wiegte, hielt dann aber inne und sagte: »Aggie jedenfalls ruft nach dir.«
    »Stimmt«, sagte Nadine. »Aber du bist nicht zu ihm rübergegangen, so wie ich das sehe.«
    Ava schüttelte den Kopf. »Ich hab euch dazu alles gesagt.«
    »Du kannst es uns ja noch mal sagen.«
    »Bitte sehr. Ich will hier weg, genau wie alle andern.«
    »Ich hab gesehen, wie sie an ihm vorbeigegangen ist«, sagte Kris zu Nadine.
    Nadine warf Ava einen scharfen Blick zu, sagte aber nichts weiter.
    Die Nacht schritt voran, der Wind wurde stärker, fachte das Feuer an und trieb ihre Pappbecher und Servietten aufs Feld hinaus. Cohen versuchte, den Kaffee auf dem Gaskocher heiß zu halten, aber er ging aus. Mariposa bot an, den Kocher in ihren Wohnwagen zu stellen, aber Cohen schüttelte den Kopf und sagte, er wolle keinen mehr.
    Schließlich stand er auf, ging zu Kris und dem Baby und fragte: »Darf ich ihn mal nehmen?«
    Kris schaute ihn überrascht an. »Hast du schon mal ein Baby gehalten?«
    »Er wird’s schon nicht zerbrechen«, sagte Nadine.
    »Nein«, sagte Cohen. »Ich hab noch nie eins gehalten.«
    Kris stand auf. Cohen legte die Arme zusammen, und Kris hob das kleine Kind darauf. Cohen hielt es fest und konnte nicht glauben, wie klein und leicht dieses Wesen war. Er legte den einen Arm so um das Baby, dass es gut geschützt war, und wiegte es hin und her.
    »Wenn sie schlafen, ist es leicht«, sagte Ava.
    »Lass ihn doch«, sagte Mariposa.
    Cohen schaute sich das faltige kleine Gesicht an. Wenn das Baby atmete, kam ein leises Geräusch aus seiner Nase. Cohen ging ein paar Schritte mit ihm, umkreiste hinter den Rücken der anderen, die dicht an den Flammen saßen, ganz vorsichtig das Feuer. Er ging weiter, fort vom Feuer und von den anderen, trat aus dem Kreis der Wohnwagen und betrat das dunkle Feld, wo es leichter war, so zu tun, als wäre dies ein kleines Mädchen und um ihn herum im Dunkel sein eigenes Land und der Feuerschein, das Licht in seinem Haus.
    Cohen ging zurück und gab Kris das Baby. Sie saßen noch eine Weile zusammen. Aus den Wäldern um sie herum kam Heulen und Kreischen. Aggie rief ungefähr alle halbe Stunde nach ihnen, wollte was zu

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