Nach der Hölle links (German Edition)
aufmunternd. »Alle Termine wahrgenommen, abgesehen von der Abendaktivität, aber es ist ja erst Donnerstag. Alle vier Tage gearbeitet und einmal sogar länger geblieben, wie ich sehe.«
»Ja«, entgegnete Andreas lahm. Es war in dieser Woche gut gelaufen. Freuen konnte er sich darüber nicht.
»Ich frage mich manchmal, wofür ich diesen ganzen Aufwand betreibe«, brach es aus ihm hervor. »Es ist verdammt viel harte Arbeit, und es nervt mich. Und am Ende bin ich immer noch kilometerweit davon entfernt, dass es mir Spaß macht, draußen zu sein. Meistens jedenfalls. Ich komme mir immer noch wie ein Hamster im Rad vor. Eigentlich hat sich gar nichts geändert.«
Es sprach für Jochen Köninger, das er nicht wie ein verschrecktes Wiesel auffuhr und Andreas aufzählte, wie gewaltig seine Fortschritte waren. Es nutzte nichts wiederzukäuen, was sein Patient bereits schwarz auf weiß im Heft stehen hatte. Der Erfolg der Behandlung war offensichtlich; nur nicht für Andreas, der in gewissen Belangen wirklich nicht weiter war als vor drei Jahren.
»Komm, nimm deine Sachen«, sagte der Therapeut nach einer Minute des Grübelns freundlich. »Wir gehen.«
»Wir gehen?«, wiederholte Andreas überrascht – und ein wenig nervös. In der Vergangenheit war ihm viel abverlangt worden, wenn er im Zuge der Therapie die schützenden Wände des Behandlungszimmers hinter sich lassen musste. Unsicher schluckte er.
»Ja, es ist schön draußen. Lass uns einen Spaziergang machen.«
Verwirrt kam Andreas dem sanft klingenden Vorschlag, der in Wirklichkeit eine Anweisung war, nach und nahm seinen Rucksack.
Gemeinsam verließen sie das Haus, das in einer bürgerlichen Gegend am Rand von Hamburg gelegen war. Ohne sein Ziel zu benennen oder eine Erklärung abzugeben, schlenderte Köninger zu einer nahen Grünfläche. Sie war zu klein, um als Park durchzugehen, brachte jedoch etwas Leben in den dicht bebauten Stadtteil. Andreas folgte ihm und schloss schließlich zu ihm auf.
»Wie fühlst du dich?«, fragte Köninger. Sie bogen auf einen schmalen Asphaltweg ein, der auf einen Spielplatz mündete. »Weiche Knie, Übelkeit, Schwindel, Angst?«
»Nein, natürlich nicht.« Andreas runzelte die Stirn. Köninger wusste doch, dass er mit Spaziergängen seit Langem keine Schwierigkeiten mehr hatte. Er wäre glücklich gewesen, wenn er jede Bewegung innerhalb der Stadt zu Fuß erledigen dürfte.
Der Therapeut nickte, bevor er sagte: »Du bist sehr weit gekommen. Das Problem liegt an anderer Stelle. Und du weißt selbst am besten, wo der Hase im Pfeffer liegt.«
»Weiß ich nicht.«
»Doch, weißt du. Wir haben in der Vergangenheit schon darüber gesprochen. Darüber, dass es nicht reicht, deine Phobie in den Griff zu bekommen. Es geht auch um die anderen Ängste, die dein Leben zwar weniger offensichtlich beeinflussen, aber ihm Qualität nehmen.«
Instinktiv drehte Andreas den Kopf beiseite. Verstockt stieß er nach einer leeren Zigarettenpackung. Ja, er wusste, worauf Köninger hinauswollte.
Das alte Lied von Menschen, Vertrauen, Familie, Gemeinschaft und Freunden. Er hasste diesen Teil der Behandlung. Es war schön und gut, seine Phobie aufs Korn zu nehmen. Warum er gleich ein anderer Mensch werden sollte, wusste er nicht. Natürlich sehnte er sich ab und zu nach Gesellschaft, aber sie wurde ihm auch schnell zu viel. Ganz zu schweigen von der Kleinigkeit, dass die einzigen Menschen, die er näher kannte, Eltern und Großvater waren. Neue Bekanntschaften schloss Andreas für sich aus. Er fürchtete die Fragen, die man ihm stellen würde; die Situation, in der er entscheiden musste, ob er log oder seine ach so dramatische Lebensgeschichte erzählte.
Köninger straffte die schmalen Schultern und deutete auf eine nahe Bank. Widerstrebend ließ Andreas sich nieder, die Hände in unbewusster Schutzhaltung in die Achselhöhlen geklemmt. Er sprach kein Wort.
»Ich fände es gut, wenn du deine Eltern besuchen würdest«, sagte Köninger, als ihm das Schweigen zu lange dauerte. »Du hast diesen Schritt bisher vermieden. Ich habe Verständnis dafür. Aber ich könnte mir vorstellen, dass ein Besuch sich positiv auf dich auswirkt.«
»Ich habe mich doch mit ihnen getroffen. Es ist ja nicht so, als ob ich sie seit Monaten nicht gesehen hätte«, wand Andreas sich. Er ahnte, auf was das Gespräch abzielte, und es gefiel ihm nicht.
»Besuchen, nicht treffen«, nagelte Köninger ihn fest. »Du bist seit über drei Jahren nicht mehr zu Hause gewesen.
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