Nach der Hölle links (German Edition)
Freunden durch die Speicherstadt. Sie hatten sich verlaufen und versuchten lachend, sich mithilfe ihrer Handys, einem Stadtplan für Touristen und ihrem zweifelhaften Orientierungssinn zurechtzufinden. So, wie sie sich anstellten – ihre Gruppe umfasste fast zwanzig Leute –, hätte ihnen niemand geglaubt, dass sie Abitur hatten. Das mochte allerdings damit zusammenhängen, dass man zu Hause kräftig vorgeglüht hatte, damit der Abend in der neuen Kneipe nicht zu teuer wurde.
Wie einen Tausendfüßler, der die Kontrolle über seine Beinchen verloren hatte, zog es sie hier- und dorthin. Es war ein Kunststück, niemanden zu verlieren, aber das gehörte dazu. Und solange keiner ins Hafenbecken fiel, war alles in bester Ordnung.
Saschas Arm lag um Svenjas füllige Schulter, als sie endlich die richtige Straße fanden und schon von Weitem das Schild der von Yun-ja ausgesuchten Bar sahen. Auf den ersten Blick machte es den Eindruck einer schlichten Planke, die mit schwarzer Farbe bemalt worden war. Doch je näher sie kamen, desto deutlicher wurde, dass es sich um ein kleines Kunstwerk der Holzarbeit handelte.
»Das wird teuer«, flötete Svenja gut gelaunt und warf die Haare in den Nacken, die ihr in diesen Tagen den Spitznamen Karotte verliehen.
»Macht nichts. Ich brauche eh nur noch ein Bier bis ich euch was vorsinge«, rief jemand von hinten. Er erntete zustimmendes Gelächter.
In den Augen der Wirtin leuchteten die sprichwörtlichen Dollarzeichen auf, als sie die wilde Bande in ihre Kneipe platzen sah. Rasch schoben sie Tische aneinander und schleppten Stühle herbei, um möglichst dicht beieinandersitzen zu können.
Zufrieden sah Sascha sich um, nachdem er sich auf seinen Platz fallen gelassen hatte. Das maritime Ambiente des Ladens gefiel ihm. Natürlich gab es in Hamburg viele Kneipen, die das Flair der Stadt widerspiegelten, aber hier hatte man sich Mühe gegeben, die Atmosphäre eines Kutters zu imitieren. Eiserne Haken, halb zerfallene Fischernetze und nautische Instrumente aus alter Zeit schmückten die Wände. Die Hocker an der Bar waren hohe Fässer, die man mit Sitzpolstern bestückt hatte.
Ja, hier konnte man es sich gut gehen lassen. Voller Lust auf alkoholische Schandtaten ließ Sascha den Blick über die Flaschen hinter der Bar schweifen. Ein breites Angebot erwartete sie.
»Ich habe richtig Bock, fiese Sachen auszuprobieren«, sagte er genüsslich mit der Zunge schnalzend.
Tim, der ein Stockwerk über ihnen wohnte, lachte auf und ließ aufgesetzt die Wimpern fliegen. »Hast du das nicht immer?«
Grinsend hauchte Sascha einen Kuss in die Luft. »Ist das ein Angebot, Hase?«
»Darf ich da auch mitreden?«, schaltete Tims Freundin der Woche sich ein. Sie wirkte ein wenig entrüstet.
»Ne, aber mitmachen vielleicht«, kicherte Svenja.
Alle lachten.
Einzig Sascha gefror die Fröhlichkeit auf den Lippen. Von einer Sekunde zur nächsten wurde ihm kalt. Dann heiß, dann wieder kalt. Nicht die Bemerkung seines Bekannten hatte ihn aus der Bahn geworfen. Er war anzügliche Bemerkungen gewohnt und teilte sie auch selbst gern aus. Nein, etwas anderes nahm Saschas Aufmerksamkeit gefangen. Statisches Rauschen erfüllte seine Ohren, als wäre er ein Radio, das auf eine tote Frequenz gestellt worden war.
Die Gespräche seiner Freunde wurden zu Hintergrundpiepsen, das Klappern der Gläser schien zu verstummen.
Die Silhouette an der Bar, ganz am Ende auf dem letzten Platz, war es, die ihm den Atem nahm. Sascha kannte Augenblicke wie diese. Vornehmlich aus Albträumen, aber auch aus der wachen Welt. Momente, in denen er glaubte, ihn zu sehen, und bitter enttäuscht wurde. Augenblicke, in denen sein Magen einen Salto schlug und hinterher für 24 Stunden nicht zur Ruhe kommen wollte, weil sein Gewissen ihn quälte. Momente, in denen er glaubte, alles falsch gemacht zu haben.
Sascha wusste, dass dieser Zustand nur Sekunden andauern würde. Jeden Augenblick konnte der Fremde sich rühren und sein Gesicht zeigen. Dann würde er enttäuscht sein. Er versuchte, sich innerlich dagegen zu wappnen, aber es wollte ihm nicht gelingen.
Dann schob der fremde Mann sich auf seinem Stuhl zurecht und offenbarte das Unglaubliche. Saschas Hand rutschte vom Tisch auf der Suche nach seinem Oberschenkel, um sich zu kneifen. Er kannte diese Bewegungsabläufe, die Form der Schultern, die Haltung des Kopfes. Er kannte die Hand, die nach dem Bierglas griff und es an einen Mund führte, der im Schatten lag. Es konnte keinen
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