Nach der Hölle links (German Edition)
Zeit, dass du das Wagnis eingehst, dir Freunde zu suchen. Und einen Freund sowieso.«
Andreas verzog das Gesicht. Unsicherheit ergriff von ihm Besitz, als eine alte, gut verborgene Narbe aufplatzte. »Bin ich soweit?«
Was er in Wirklichkeit meinte, war: »Bin ich mittlerweile ein Mensch, bei dem jemand bleiben würde? Oder wird man mich wieder verlassen, weil ich unzureichend bin? So wie mich alle immer verlassen haben, wenn ich sie brauchte?«
Köninger lächelte kaum merklich. Er kannte Andreas’ Ängste und Sorgen, den Schmerz, den der Verlust seiner ersten Liebe hinterlassen hatte und auch das Gefühl der Unzulänglichkeit, das sich nicht durch Worte allein vertreiben ließ. »Garantien gibt es nicht. Für niemanden. Aber sagen wir mal so: Ganz so allein, wie du im Moment bist, müsstest du von meiner Seite aus nicht sein.«
Das war nicht viel, aber immerhin etwas.
* * *
Für einen Außenstehenden hätte die Szene in der geräumigen Küche sicherlich merkwürdig ausgesehen. Rund ein Dutzend Studenten aller Semester standen und saßen um einen Tisch, auf dem ein Stadtplan von Hamburg ausgebreitet lag. Alle feuerten eine hübsche Kommilitonin asiatischer Abstammung an, die mit verbundenen Augen einen Bleistift kreisen ließ. Sie lachte, als ihr Freund sich zu ihr beugte und ihr etwas Unverständliches ins Ohr flüsterte.
»Komm schon, spann uns nicht auf die Folter«, rief jemand aus der Masse der Umstehenden. »Wir wollen wissen, wo es heute Abend hingeht.«
Auch Sascha beobachtete begierig und belustigt zugleich die betont langsamen Kurven des schwebenden Bleistifts. Kneipen-Hopsen stand auf dem Programm. Das bedeutete, dass sie via Zufallsprinzip nach einer Bar suchten, in der sie den Abend verbringen konnten. Gewählt wurde mithilfe eines Stifts, der blind auf die Karte gestoßen wurde. Die getroffene Straße wurde anschließend über Google Maps in Augenschein genommen und so lange gesucht, bis sich in der Nähe eine Kneipe fand.
Ein einfaches System, das dafür sorgte, dass sie nicht dauernd in den gleichen Bars landeten. Ab und zu gab es auch einmal eine Überraschung. Sascha erinnerte sich noch gut an den Tag, an dem sie mit offenem Mund in einer BDSM-Kneipe landeten und von den freundlichen Gästen gleich zum Stammtisch eingeladen wurden.
Yun-ja machte eine große Show aus der Auswahl. Ein paar Mal ließ sie den Bleistift absinken, nur um ihn unter dem Gelächter und Stöhnen der Umstehenden wieder nach oben zu ziehen.
Grinsend lehnte Sascha sich zurück. Er freute sich auf einen entspannten Abend mit seinen Freunden und Mitbewohnern. Man konnte nie vorhersagen, wer sie auf ihrer Odyssee begleitete. Es war eine gute Gelegenheit, neue Leute kennenzulernen – gerade auch die, die noch nicht allzu lange im Haus wohnten.
Genüsslich streckte er sich, fühlte sich geradezu ekelhaft wohl in seiner Haut. Die Wogen hatten sich geglättet. Sowohl die eigenen, die ihn stets überkamen, wenn er bei seiner Tante gewesen war, als auch die von Nils. Letzteres machte Saschas Leben deutlich leichter.
Als hätte dieser seine Gedanken gelesen, wurde Sascha plötzlich von hinten umarmt. Ein Kopf legte sich ihm auf die Schulter. Automatisch griff er nach ihm und ließ die Hände auf Nils’ Unterarmen ruhen. Er hatte nichts gegen die öffentliche Zurschaustellung ihrer Beziehung einzuwenden. Wenn sie Publikum hatten, hielt Nils sich mit dummen Bemerkungen zurück. Sascha drehte leicht den Kopf und küsste Nils auf die Wange, bevor er murmelte: »Und du willst wirklich nicht mitkommen? Es wird bestimmt lustig.«
Nils schüttelte den Kopf und drückte das Gesicht in Saschas Haare. »Ne, lass mal. Ich muss dringend lernen. Ich hinke gewaltig hinterher.«
Das sah Sascha ein. Nils’ Chemie-Studium war ungleich härter als sein eigenes Studienfach. Obwohl händeringend Fachkräfte gebraucht wurden, siebte man in diesem Jahr bei den Chemie-Studenten kräftig aus.
Insofern hatte er Verständnis dafür, dass sein Freund Prioritäten setzte. Und wenn er ehrlich war, hatte er auch nichts dagegen, ohne ihn zu gehen. Nicht, dass Nils eine Spaßbremse gewesen wäre, nur …
Sascha ohrfeigte sich innerlich. Hatte er sich nicht vorgenommen, es zu probieren? Nils jede Chance zu geben, die er verdiente? Er unterdrückte ein Seufzen und wollte sich gerade zurücklehnen, als ein vielstimmiger Aufschrei durch die Küche brandete. Sie hatten ihr Ziel gefunden.
Eine Dreiviertelstunde später lief Sascha zusammen mit seinen
Weitere Kostenlose Bücher