Nach der Hölle links (German Edition)
Köninger, seine Eltern, sein Großvater, Mandy. Letztere lud gerade in einiger Entfernung auf dem Innenhof Futter ab. Auf die anderen Alternativen konnte er verzichten.
»Schon armselig, wenn man hofft, dass es sich um einen dummen Werbeanruf handelt«, sagte Andreas spöttisch zu sich selbst.
Als er aufs Display sah, erkannte er die Büronummer seines Vaters. Er hatte die Kombination nie abgespeichert, aber sie war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Das Wissen kam aus einer Zeit, in der er sie noch benutzt hatte, weil er darauf baute, dass seine Eltern nach Hause kamen, wenn er darum bat. Manchmal waren sie gekommen. Nie so schnell, wie er es sich wünschte, und sie waren nicht lange geblieben, aber man konnte nicht behaupten, dass sie ihn vollends ignoriert hatten. Trotzdem hatte er später nicht mehr angerufen.
»Ja?«, nahm Andreas den Anruf entgegen. Seine Hand lag um Tritons Halsband. Er konnte nichts gegen den Widerwillen unternehmen, der ihn erfasste, wenn er mit seinen Eltern sprach.
Wie so oft in der letzten Zeit klang Richard von Winterfeld zögerlich, als er sich meldete: »Grüß dich. Ich dachte, ich rufe mal an und frage, ob alles in Ordnung ist. Mit der Wohnung zum Beispiel.«
»Was sollte nicht in Ordnung sein?«, gab Andreas mit verdrehten Augen zurück. »Ich habe sie nicht angezündet, falls du das meinst.«
»Nein, natürlich nicht. Aber nachdem du neulich meintest, dass die Treppe nicht in Ordnung ist, wollte ich nachfragen. Hat sich die Verwaltung darum gekümmert?«
»Sicher. Das Geländer war ja auch nur locker. Das war in Null-Komma-Nix gegessen. Mit der Wohnung ist alles bestens.«
Er hörte ein kleines Geräusch, das mit viel gutem Willen als Seufzen verstanden werden konnte. »Dann kommst du also zurecht?«
»Klar komme ich zurecht. Ich habe versprochen, dass ich mich melde, wenn es Probleme gibt.« Andreas fand diese Art von Telefonaten fürchterlich. Er hatte den Eindruck, dass sie auf falsch verstandenem Verantwortungsgefühl beruhten. Ein bisschen spät, wenn man ihn fragte. »Hör mal, ich habe keine Zeit zu reden. Meine Pause ist vorbei. Ich muss wieder an die Arbeit.« Das letzte Wort ließ Andreas genüsslich auf der Zunge zergehen.
»Oh, dann will ich dich nicht aufhalten. Wir sprechen uns. Pass gut auf dich auf.«
»Ja, Papa, mache ich. Bis dann.«
Nachdem Andreas aufgelegt hatte, sah er zu Boden. Er war sich sicher, dass die Wiese nun einige Zentimeter weiter von ihm entfernt war. Kurz, er kam sich ein gutes Stück größer vor. Er lächelte.
Oh, er wusste, dass sein Vater das Praktikum im Tierheim nicht ernst nahm. Ihm war auch klar, dass seine Mutter sich davor ekelte, dass er Hundekot einsammelte und den Urin von Nagetieren aus Käfigen putzte. Erbrochenes beseitigte, streunende Katzen von Zecken befreite. Dabei war, wenn Abszesse von misshandelten Tieren geöffnet wurden.
In einem Tierheim beschäftigt zu sein, bedeutete nicht, dass man den lieben langen Tag mit niedlichen Hunden spielte. Es bedeutete, dass man vor Augen geführt bekam, wie schäbig manche Menschen mit ihren Vierbeinern umgingen, und dass man Tiere sterben sah, wenn ihnen nicht zu helfen war.
Egal, wie sinnlos die von Winterfelds seine Beschäftigung finden mochten, Andreas arbeitete. Er ging jeden Tag einem geregelten Leben nach. Er tat etwas Gutes, indem er den Tierheimangestellten ihren Knochenjob erleichterte. Und er wurde hier geschätzt. Von den Tieren, von den Kollegen, von der Tierheimleitung, von der Ärztin. Das war mehr, als er zu Hause je erreicht hatte. Er arbeitete . Diese Gewissheit konnte ihm niemand nehmen.
»Komm, Großer. Wir machen uns auf den Weg. Da wartet eine Futterlieferung auf uns, und wir können Mandy ja nicht alles alleine machen lassen, oder?«
Triton brummte zustimmend und drückte den Kopf an Andreas’ Bein.
* * *
Sascha hätte nicht gedacht, dass man jemanden nach so langer Zeit wieder so schrecklich vermissen konnte.
Er wollte sich an Christophers Rat halten. Er wollte es wirklich. Aber seit ihrem Gespräch am Vortag war der Drang, Andreas wiederzusehen, nur noch heftiger geworden.
Sascha sah ja ein, dass er nicht in Andreas’ Leben platzen und Stress verursachen sollte. Er durfte ihm seine Seite der Geschehnisse nicht aufzwingen. Christophers Argumente ließen sich nicht widerlegen. Sascha konnte nicht überblicken, wie es Andreas ging und was er ihm zumutete, wenn er mit Erklärungen, Entschuldigungen und dem Wunsch nach Wiedergutmachung vor
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