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Nach der Hölle links (German Edition)

Nach der Hölle links (German Edition)

Titel: Nach der Hölle links (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raik Thorstad
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Affäre zu ziehen. Andreas’ erster Impuls bei jedem Problem war seit Anbeginn der Zeit, die Schuld bei sich selbst zu suchen. Das war bequemer, als sich zu beklagen und auf taube Ohren zu stoßen. Oder gar das letzte bisschen Zuneigung zu verspielen, indem man sich unleidlich gab.
    Damit war Schluss. Ja, er hatte den Brief gelesen. Sein Punkt. Aber er hatte nicht darum gebeten. Saschas Punkt.
    »Verdammt noch mal!«, wetterte Andreas und fegte das Papier vom Schoß. Es schwebte in sanften Bahnen zu Boden, als wolle es ihn verhöhnen. Er wünschte sich etwas, dem er Gewalt antun konnte. Nicht den Sandsack, sondern etwas, das er wirklich und wahrhaft zerstören konnte. Nur mit Mühe hielt er sich davon ab, in die Küche zu marschieren und das Geschirr aus dem Schrank zu nehmen. Es wäre sicherlich eine helle Freude, es aus dem vierten Stock auf die Straße zu schmeißen.
    Durch einen Zufall blieb das letzte Blatt des eigentlichen Briefes so liegen, dass das Post Scriptum zu sehen war, unter dem Saschas Telefonnummer prangte. Direkt unter den Worten: » Du fehlst mir. Du fehlst mir jeden Tag. «
    Nichts wollte Andreas lieber ignorieren als dieses letzte Geständnis. Denn nichts schmerzte ihn mehr. Nichts machte ihn wütender. Nichts ließ ihn mehr hassen.
    Stunde um Stunde rührte er sich nicht vom Fleck, obwohl er durstig wurde und das Licht ihm in die Augen stach. Auch war ihm bald zu warm unter der Decke, aber er brachte es nicht über sich, sich zu bewegen. Andreas war, als würde eine körperliche Regung Dinge lostreten, die er nicht kontrollieren konnte. Solange er sich nicht rührte, hatte er sein Universum im Griff.
    Aber wehe, er zuckte auch nur mit dem Finger. Dann explodierte links eine Supernova des Schmerzes, raste rechts ein Meteor der Zweifel vorbei, nur um im zerklüfteten Asteroidenfeld verschwinden, welches einst der Planet namens Hoffnung gewesen war.
    Von den scharfkantigen Überresten dessen, was einmal echte Gefühlsregungen gewesen waren und die mit Hoffnung in die Luft geflogen waren, ganz zu schweigen. Heute konnte man sich an der Erinnerung die Finger schneiden, aber nichts von Wert mehr daraus aufbauen.
    Unter Aufbringung zäher Geduld wartete Andreas ab, bis die ferne Turmuhr neun Mal schlug. Er hatte sich vorgenommen, nicht eher anzurufen. Dieser Entscheidung lag keineswegs seine Sensibilität zugrunde. Er wollte nur vermeiden, dass er vor Wut kaum sprechen konnte. Allerdings musste er feststellen, dass das Warten kaum half. Eher kam es ihm vor, als nähme der Feuerball in seiner Brust beharrlich an Größe und Brennkraft zu, statt von der verstreichenden Zeit abgekühlt zu werden.
    Als der letzte Glockenschlag verklang, warf Andreas die Decke ab. Das Telefon war nicht weit, und das war gut so. Es erwartete ihn auf seinem Platz neben dem Fernseher und war bereit für den Vergeltungsschlag.
    Für eine Sekunde schwebte der Daumen über dem Verzeichnis der Telefonnummern, bevor er seine Entscheidung fällte. Mit dem Telefon am Ohr begann er Runden durch das Wohnzimmer zu ziehen, während er darauf wartete, dass jemand den Anruf entgegen nahm. Es dauerte lange; zu lange für eine Firma dieser Dimension.
    Schließlich flötete ihm entgegen: »Von Winterfeld Konzerne, Büro von Margarete von Winterfeld. Sie sprechen mit Jutta Schwarz. Was darf ich für Sie tun?«
    »Auch von Winterfeld«, meldete Andreas sich kühler, als die freundliche Vorzimmerdame verdiente. Er hatte sie noch nie persönlich getroffen, aber am Telefon war sie stets sehr verbindlich. »Ich muss meine Mutter sprechen.«
    »Wie nett von Ihnen zu hören«, gab Frau Schwarz zurück. Es war erstaunlich, wie ehrlich sie klang. Eine geübte Telefonistin eben. »Aber ich fürchte, Sie haben kein Glück. Ihre Mutter ist in einer Besprechung.«
    Er unterdrückte ein Auflachen. Wann war sie das nicht?
    Mit geballter Faust sagte er streng: »Das ist egal. Holen Sie sie da heraus. Soll sie ihre Sitzung unterbrechen. Ich muss sie sprechen, und zwar sofort.«
    »Herr von Winterfeld, das geht doch nicht.«
    »Sofort, Frau Schwarz!«
    Andreas war selbst überrascht, dass es funktionierte und die Mitarbeiterin ihn in die Warteschleife schaltete, während sie versuchte, seine Mutter aus ihrem Meeting zu lotsen.
    Während ein Oldie in seinem Ohr dudelte, dachte Andreas, dass er vielleicht doch nicht vollkommen ungeeignet für die Arbeit im Konzern war. Wie man Mitarbeiter anherrschte, wusste er jedenfalls. Komisch, dass das eins der wenigen

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