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Nach dir die Sintflut

Nach dir die Sintflut

Titel: Nach dir die Sintflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Kaufman
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ignorieren. Als das misslang, versuchte er es mit einem künstlerischen Ansatz. Er fotografierte die fremden Schuhe, die vor Lisas Zimmertür standen. Er baute Skulpturen aus den Zigarettenkippen der unterschiedlichsten Marken, die er im Aschenbecher fand. Er lieh sich an der Hochschule ein Mikrofon und einen Rekorder aus, um mitten in der Nacht in seiner Wohnung Feldforschung zu betreiben.
    Zuletzt zog Lewis sich ein Kissen über den Kopf und über das Kissen eine Decke. Er konnte immer noch alles hören. Als es vorbei war, lauschte er auf die Schritte in Lisas Zimmer. Schwere Schritte. Nicht von Lisa. Sobald die Badezimmertür sich geschlossen hatte, öffnete Lewis seine Zimmertür. Mit drei Schritten stand er vor Lisas Zimmer. Er stieß die Tür auf. Er stand wie angewurzelt da, das Licht aus der Küche beleuchtete ihn von hinten.
    »Lewis?«
    Er antwortete nicht. Er betrat das Zimmer, stieg auf Lisas Bett und riss die Decke beiseite. Er bückte sich und nahm Lisa auf die Arme. Lisa schwieg und wehrte sich nicht. Sie protestierte nicht einmal, als Lewis in die Knie ging, sie über seine Schulter schwang und aus dem Zimmer trug. Lewis stieß seine Zimmertür mit dem Fuß zu und warf Lisa aufs Bett. Als die Badezimmertür aufging, zog er sich und Lisa die Bettdecke über den Kopf.
    Sie hörten ihn flüstern: »Lisa? Lisa?«
    Sie hörten, wie jemand in Lisas Zimmer ging. Wie er durch die Küche schlich. Sie hörten, wie er das Apartment durchsuchte. Sie hörten, wie er sich die Schuhe anzog und ging. Als er weg war, sagte Lewis: »Ich bin eifersüchtig.«

    »Endlich.«
    »Willst du mich heiraten?«
    »Auf jeden Fall.«
    In jener Nacht zogen sie es bis zum Ende durch.
    Sie heirateten neunzehn Monate später, wenn auch nur standesamtlich. Nach der Hochzeit begannen Lisa und Lewis, an gemeinschaftlichen Projekten zu arbeiten. Vier Jahre später beschlossen sie im Zuge ihrer Abschlussarbeit, eine Band zu erschaffen. Sie wollten keine Band gründen, sondern erschaffen, so als schüttelten sie sie fertig aus dem Ärmel. Sie einigten sich auf den Namen The Impostors. Sie entwarfen ein Logo, das sie im Siebdruckverfahren auf T-Shirts aufbrachten. Die T-Shirts hängten sie in Secondhandläden auf. Sie entwarfen ein Tourplakat für Auftritte, die niemals stattgefunden hatten. Sie druckten es, ließen die Poster im Ofen vergilben und tackerten sie unter ältere Werbeplakate, die überall in der Stadt aushingen. Unter Zuhilfenahme von Lisas Casio-Keyboard produzierten sie ein geheimes Demo, das sie auf CDs brannten und mit dem Etikett The Impostors - Demo versahen. Die CDs ließen sie in Linienbussen und Coffeeshops liegen. Sie programmierten eine als Fanseite getarnte Webpage und ließen das Demo ins Internet sickern.
    Die Abschlussprüfung bestanden sie knapp, und nur, weil es ihnen gelungen war, die Trennlinie zwischen Realität und Fiktion zu verwischen. Die Linie verwischte umso mehr, als Steven Tassle, der damalige Talentscout von Fabulous Records, das Demo hörte, begeistert war, die Band unbedingt kennenlernen wollte und persönlich nach Halifax flog, um sie unter Vertrag zu nehmen. Einzige Bedingung war, dass sie Sounds Like Something Forever professionell aufnehmen und als erste Single auskoppeln würden.

    Erst als Lewis in sicherem Abstand auf der anderen Straßenseite wieder auf seiner Bank saß, wurde ihm das Ausmaß der von ihm veranstalteten Szene klar. Der Verkäufer beobachtete ihn durch die Schaufensterscheibe des Ladens. Er kratzte sich am Bart und redete in sein Handy. Zweifellos lieferte er gerade eine Personenbeschreibung des Kunden ab, der wegen einer aus der Mode gekommenen Popband durchgedreht war. Lewis’ Handflächen waren immer noch feucht, sein Herz klopfte. Er schwang die Beine nach links, um den Laden nicht mehr sehen zu müssen, was ihm freie Sicht auf das Basketballfeld der benachbarten Schule bot. Erst in diesem Moment entdeckte er eine Person auf dem Feld, und diese Person war Lisa.
    Sie hatte sich das strähnige, ungewaschene Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, der ihr oben aus dem Kopf zu sprießen schien. Nach jedem Sprung, aber noch bevor ihre Füße auf dem Boden landeten, stellte der Pferdeschwanz sich kerzengerade auf und ließ Lisas Kopf wie den Punkt unter einem Ausrufezeichen aussehen. Sie trug ein zerrissenes weißes T-Shirt mit Grauschleier, bloß dass diesmal der Senffleck über der Brustwarze fehlte. Lewis beobachtete, wie sie Sprungwürfe übte. Während er auf der Bank

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