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Nach uns die Kernschmelze

Nach uns die Kernschmelze

Titel: Nach uns die Kernschmelze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Spaemann
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gerade weil der Christ seinen Glauben nicht zur Disposition stellt, gewinnt er die Freiheit, alles andere zur Disposition zu stellen und alle anderen Unbedingtheiten zu relativieren.
    Wir haben es in der heutigen Energiedebatte mit einer verzerrten Situation zu tun. Auf der einen Seite steht eine engagierte Minderheit von Bürgern, darunter zahlreiche Naturwissenschaftler, Biologen, Physiker, die den Weg der Kernenergienutzung für falsch halten. Sie bestreiten die Unvermeidlichkeit der Energielücke. Sie verweisen darauf, dass der Pro-Kopf-Energieverbrauch der Amerikaner sich zwischen 1850 und 1970 nur verdoppelt hat und dass die gewaltigen Steigerungen des Komforts in erster Linie durch bessere Ausnutzung der Primärenergie ermöglicht wurde. Von 1961 bis 1973 fand auf diesem Gebiet überhaupt kein Fortschritt mehr statt, weil die Energie zu billig geworden war. Unter diesen gibt es eine Gruppe, die behauptet, dass sogar ohnejede Konsumeinschränkung eine Energielücke nicht entstehen werde. Sie verweist auf den Bevölkerungsrückgang, auf die Unvermeidlichkeit eines Nullwachstums in absehbarer Zeit, sie verweist auf die Unverantwortlichkeit der Wachstumsziele der Bundesregierung, die die Möglichkeit verbaue, in den nächsten Jahrzehnten allmählich und ohne Bruch zu einem gemäßigteren Wachstumstempo überzuleiten; denn fast alle Menschen sind sich heute darüber einig, dass irgendwann in einer nicht allzu fernen Zukunft die Wachstumsgrenze erreicht sein werde. Das Problem ist nur, so wird argumentiert, ob wir diesen Zeitraum hinausschieben und dann plötzlich eine katastrophale Vollbremswirkung unseren Nachkommen hinterlassen oder ob wir schon jetzt diese Entwicklung allmählich einleiten. Man verweist auf die Unmöglichkeit, bessere Abwärmenutzung anders als durch siedlungsnahe Blockheizkraftwerke zu gewährleisten; auf Beispiele wird verwiesen, wo das Kilowatt elektrischer Leistung zu einem Drittel der heutigen Stromkosten eines Kernkraftwerks geliefert wird. Man verweist auf die Ungelöstheit des Abfallproblems und auch auf die Unverantwortlichkeit, kommende Generationen mit dem Problem nicht-transformierbarer Sachzwänge zu belasten und ihren Freiheitsspielraum einzuengen. Man verweist darauf, dass die auf Großtechnik gegründeten zentralen Versorgungseinheiten die Offenheit unserer Zukunft blockieren, dass sie praktisch den kommenden Generationen die Möglichkeit der Entwicklung eigener Alternativen erschweren und den Marschin Planwirtschaft und Sozialismus begünstigen. Ein Zitat aus dem Buch von Krause, Bossel und Müller-Reißmann, »Energiewende«, das 1980 erschienen ist: »Die Länge der Planungszeiträume und die Höhe der auf dem Spiel stehenden Investitionen machen diese Giganten im Prinzip innovationsfeindlich.«
    Warum, so wird argumentiert, nicht eine freie Marktwirtschaft auch auf dem Energiesektor einführen? Warum nicht die Eigenverantwortung für energiesparende Maßnahmen fördern, warum nicht die Stromleitungen wie die Straßen für Energielieferanten zum Marktpreis öffnen usw.?
    Ich habe nur einige wenige Gesichtspunkte genannt, die zur Zeit vorgetragen werden. Dem entgegen steht der Einwand, dass alle alternativen Möglichkeiten der Energiegewinnung und vor allem der Energienutzung und Einsparung nicht erprobt sind, dass sie vermutlich die Lücke nicht schließen würden, dass sie die Dritte Welt nicht berücksichtigen, dass sie die Arbeitsplatzsituation und den sozialen Frieden gefährden. Die Antwort von Krause, Bossel und Müller-Reißmann 1 , den Befürwortern des »sanften Weges«: »Es ist etwas anderes, ob man sich unter anderem mit der rationellen Energienutzung befasst, weiterhin aber die meisten Bemühungen auf neue Techniken für ein erweitertes Energieangebot richtet, oder ob man die Anstrengungen vor allem auf die bessere Energienutzung konzentriert. Im Augenblick ist noch so viel an Kapital, Forschungskapazität, wissenschaftlicher Kreativität, industriellen Anstrengungen, politischer Durchsetzung, Lernfähigkeit der Bürger auf harte Techniken wie Kernenergie und Kohleverflüssigung konzentriert, dass der Rest für die Verwirklichung alternativer Möglichkeiten tatsächlich nicht reicht. Würde es bei diesem Zustand bleiben, so könnte die Kernenergie tatsächlich unverzichtbar werden; die Prophezeiung würde sich selbst erfüllen. Und jede Politik des ›Vorhaltens‹ durch Ausweitung des Energieangebots schafft weitere Sachzwänge in der Richtung des harten Weges,

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