Nach uns die Kernschmelze
verantwortlich noch heroisch. Jedenfalls ist dies die christliche Sicht der Dinge. Denn Christen glauben nicht an verschiedene Götter, deren einen man beleidigt, indem man den anderen erfreut. Christen glauben auch nicht an das philosophische Pendant des Götterhimmels, ein anonymes Reich von Werten, dem gegenüber tragische Konflikte unvermeidlich sind. Christen glauben an den einen Gott, der jedenfalls nicht weniger einsichtig und vernünftig ist als wir selbst und dem gegenüber sich niemand schuldig macht, wenn er in seinem Handeln die Güter nach bester Einsicht und Vernunft gewichtet. Schuldig macht er sich, wenn er das nicht tut. Allerdings lehrt das Christentum, dass wir äußerst geneigt sind, gerade das immer wieder nicht zu tun, und aus diesem ganz und gar nicht heroisch-tragischen Grund immer wieder schuldig werden, ohne dass wir dafür irgendeine Entschuldigung haben oder darin irgendeine tragische Größe gewinnen. Was wir dann brauchen, ist schlicht und einfach Vergebung. Diese wird jedem, aber auch nur – nach christlicher Überzeugung – dem zuteil, der zur Umkehr bereit ist. »Ich will dich nicht verurteilen«, sagt Christus zu der Ehebrecherin, »geh und sündige von jetzt an nicht mehr.«
Der Ideologieverdacht der Christen
Wo Menschen gemeinsamer Interessenrichtung, Menschen desselben Berufs, derselben Landsmannschaft oder was immer sich zusammenfinden, die außer dieser Gemeinsamkeit auch noch die andere haben, Christen zu sein oder sein zu wollen, da stehen sie unter diesem Anspruch der Umkehr. Das heißt, wenn sie sich als Christen bekennen, erklären sie sich bereit, ihre Vormeinungen, Interessen, Perspektiven, Vorlieben prinzipiell zur Disposition zu stellen und dem Gesichtspunkt des Guten, dem ethischen Gesichtspunkt unterzuordnen. Außerdem wissen sie, falls sie noch den Katechismus gelernt haben, von der durch die Erbsünde bedingten Trübung des menschlichen Verstandes und den Schwächen des menschlichen Willens. Deshalb haben sie einen Ideologieverdacht vor allem gegen sich selbst; sie sind misstrauisch gegen sich selbst, vor allem dann, wenn ihr Weltbild ihnen eine allzu gefällige Harmonie zwischen dem bereithält, was sie für gut halten, und dem, was für sie selbst nützlich, interessant, stimulierend und befriedigend ist. Letzten Endes dürfen wir zwar davon ausgehen, dass das für alle Gute auch das für alle Nützliche sein wird. Aber wenn man den Satz umkehrt, führt er in die Irre. Angesichts des vielfältigen Widerstreits von Meinungen und Interessen trifft die Redensart, dass, was dem einen seine Eule, dem anderen seine Nachtigall sei, eine offensichtliche Tatsache. Die christlichen Versuche, über den eigenen Schatten zu springen, dasEulenartige der eigenen Nachtigall ernsthaft in Betracht zu ziehen, diese Versuche machen Christen innerhalb jeder Interessengemeinschaft einerseits zu besonders objektiven und weitblickenden, andererseits zu besonders unzuverlässigen Interessenvertretern, weil sie notfalls bereit sind, das Gruppeninteresse, mindestens so, wie die Mehrheit der Gruppe es versteht, neugewonnenen sittlichen Einsichten zu opfern. »Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit; alles andere wird euch dazugegeben werden«, so heißt es im Evangelium, und wer diesem Wort wirklich glaubt und darauf setzt, gewinnt für sein Leben eine Orientierung von großer Sicherheit. Von außen betrachtet aber wird er unter Umständen als ein etwas windiger Störenfried stillschweigender Einverständnisse erscheinen. Denn für ihn ist der moralische Aspekt einer Handlung der, der im Zweifelsfalle alle anderen Aspekte verdrängt.
Das Spezifikum des Moralischen
Nun aber: Was ist denn eigentlich der moralische Aspekt eines Problems und gar eines so komplexen wie des Problems der Energieversorgung? Was fügt er eigentlich dem am Anfang genannten Aspekt hinzu? Meine Antwort lautet: Er fügt ihm gar nichts hinzu. Das Moralische ist überhaupt nicht ein Aspekt neben anderen, sondern eine bestimmte Weise, diese verschiedenen Aspekte einer Sache zur Kenntnis zu nehmen, sie zu ordnen und sie für die Praxis wirksam werden zu lassen. SittlichesVerhalten ist nichts anderes als sachgerechtes Verhalten, aber sachgerechtes Verhalten in einem umfassenden Sinne des Wortes. Sachgemäß kann man ja auch eine lege artis durchgeführte Abtreibung nennen. Sie ist es aber nicht, weil hier der Zweck selbst nicht der ganzen Sache gerecht würde, nämlich nicht dem Kind. Sachgemäß mag
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