Nach uns die Kernschmelze
ein Einbruch durchgeführt werden. Aber die Aneignung einer Sache ist gerade nicht sachgerecht in einem umfassenden Sinne, wenn diese Sache bereits die Eigenschaft hat, das Eigentum eines anderen zu sein. Dieser Aspekt der Sache wird dann nämlich gerade vernachlässigt. Sachgemäß kann sich jemand einen Schuss Heroin verpassen. Aber er geht dabei gerade nicht sachgerecht mit sich selbst um. Zugunsten des Aspekts kurzfristiger Euphorie ignoriert er die Gesamtheit der Aspekte, die zu einem sinnvollen Leben führen, zu einer menschenwürdigen Entfaltung der eigenen Natur gehören. Sittliches Verhalten ist also dasjenige Verhalten, das die Gesamtheit der Aspekte einer Sache nach dem ihnen eigenen Gewicht im Handeln zur Geltung kommen lässt.
Damit dies nun geschieht, müssen mindestens drei Voraussetzungen erfüllt sein:
1. Der sittlich Handelnde muss überhaupt handeln können, d.h., er muss über ein hinreichendes Maß an Selbstbeherrschung, an Kontinuität des Wollens verfügen, ohne dass damit schon über die Richtung seines Wollens entschieden ist. Jemand, der überhaupt nichtkontinuierlich wollen kann, kann weder ein großes Verbrechen noch irgendetwas Sittliches tun, er kann überhaupt nicht konsistent handeln.
2. Der sittlich Handelnde muss ein Unterscheidungsvermögen besitzen für Wertqualität und Wertrangordnung. Wer gar kein Organ hat für die Schönheit einer Landschaft oder den Wert, der im Reichtum natürlicher Arten liegt, der wird keine Zumutung darin sehen, diesen Reichtum zu dezimieren. Wer den Wert der Freundschaft nie erfahren hat, wird nie verstehen, was man einem Freund schuldig ist. Und wer sich eine personale Liebesbeziehung gar nicht vorstellen kann, der wird Einwände gegen sexuelle Promiskuität überhaupt nicht verstehen. Nun hat an sich jeder Mensch potentiell ein Gefühl für Wertrangordnungen. Es ist, ebenso wie bei der Selbstbeherrschung, Sache der Erziehung, dieses Gefühl durch Stiftung von entsprechenden Erfahrungsmöglichkeiten zu entwickeln.
3. Die schwere Störung dieses Gefühls, auch bei normal entwickelten und sensiblen Menschen, hat eine sehr einfache Ursache: die mangelnde Bereitschaft oder Fähigkeit, von unseren eigenen partikularen und augenblicklichen Interessen abzusehen und unsere eigenen Handlungen so zu beurteilen, als seien es die Handlungen anderer, von denen wir betroffen sind. Deshalb ist die dritte und die im engeren Sinne moralische Voraussetzung sittlichen Verhaltens diese Bereitschaft. Die Forderung »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst« bedeutet, die Maßstäbe unseres Handelns unabhängig davon zu beurteilen, ob ich der Betroffene bin oder ein anderer, oder ob ich der Handelnde bin oder ein anderer. Andernfalls verzerrt sich nämlich die Perspektive: Das, was für uns selbst im Augenblick dringlicher oder nützlicher oder befriedigender ist, scheint uns dann überhaupt wertvoller oder besser oder nützlicher zu sein, als es bei einem unparteiischen Betrachten wäre.
Eine Handlung unter ethischem Aspekt betrachten heißt also
– ihre Aspekte nach ihrem objektiven Gewicht werten, und
– bei dieser Wertung davon absehen, wer Nutznießer, wer Betroffener, wer Leidtragender der Handlung ist.
Moralisch gerechtfertigt ist eine Handlung nur dann, wenn der Handelnde ihr auch dann zustimmen würde, wenn er der Betroffene wäre. Aber, so können wir fragen, woher weiß denn der Handelnde, dass er, wenn er der Betroffene wäre, zustimmen würde? Vielleicht redet er es sich nur ein? Vielleicht fehlt ihm einfach die Phantasie, sich selbst in die Lage des anderen zu versetzen? Vielleicht hat er sich eine Ideologie zurechtgelegt, die es ihm möglich macht, genau das für zumutbar zu halten, was er gern anderen zumuten will? Vielleicht würde er sogar die Zumutung als Betroffener wirklich akzeptieren, aber nur, weil er ein anderer Mensch ist und weil diese Zumutung für ihn nicht eine ebenso große Zumutung wäre wie für den anderen? Die Sache wird also noch etwas komplizierter. Zur moralischen Rechtfertigung einer Zumutung gehört es daher nicht, dass ich die Zumutung selbst für zumutbar halte. Nun, gehört denn dazu, dass jeder Betroffene sie für zumutbar halten muss? Das kann ja auch nicht gut sein, denn das würde ja ein unbegrenztes Veto jedes von irgendeiner Handlung Betroffenen gegen die Folgen dieser Handlung bedeuten. Auch Betroffene können ungerecht sein und nicht nur der Handelnde. Deshalb bedeutet nicht jede Bürgerinitiative von
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