Nachhilfe in Erster Liebe
deshalb sogar auf die Idee, noch Französisch zu lernen, weil wir nämlich nach Frankreich fliegen werden, die Osterferien fangen am Wochenende an.
Endlich weg. Weit weg von meinen Problemen. Leider auch weit weg von Jan. Andererseits: Ob ich jetzt in Frankreich hocke und sehe ihn nicht oder ob ich hier hocke und ihn nicht sehe, ist auch schon egal.
Dafür habe ich beschlossen, wenigstens noch jemand anderen vor den Ferien zu sehen: mein Bassidol Jonas Hellborg. Auch wenn Jan das nun gar nicht mehr mitkriegt, dass ich heimlich zum Konzert gehen will, tu ich’s trotzdem, weil ich mir echt nicht vorwerfen lasse, ich würde schnell aufgeben. Wer schnell aufgegeben hat, ist doch viel eher Jan, der gleich gekniffen hat, als es diese Woche um die Nachhilfe ging. Ja okay, ist vielleicht ein bisschen ungerecht, weil er’s eigentlich nur wegen mir getan hat.
Wegen wem ich jetzt wirklich zum Konzert gehe, ob
wegen Jan oder wegen mir, ist mir aber egal, Hauptsache, ich gehe.
Ich habe das die letzten Wochen heimlich eingefädelt. Und eigentlich wollte ich nach dem Konzert Jan ganz stolz meine Eintrittskarte zeigen. Das kann ich jetzt vergessen. Das Konzert vergesse ich aber trotzdem nicht!
Nachdem mich Jan so angestachelt hatte, dass ich dafür kämpfen soll, was mir wichtig ist, hatte ich lange überlegt, mit wem ich heimlich zum Konzert gehen könnte. Denn allein traue ich mich wirklich nicht. Und die würden mich auch nie in die Halle lassen ohne erwachsene Begleitung. Meine Familie ist sofort ausgeschieden, die machen das nicht mit. Dann habe ich überlegt, ob mein Bruder Freunde hat, die mit mir hingehen und dichthalten würden. Aber da seine Freunde genau solche Langweiler sind wie Joachim, die auch keine Ahnung von toller Musik haben, und weil diese Woche auch noch ausgerechnet Abiprüfungen sind, konnte ich das natürlich auch vergessen. Aber plötzlich war’s ganz einfach, den Richtigen zu finden: meinen Gitarrenlehrer! Der ist erwachsen, kein Langweiler (sonst würde er ja nicht Gitarre spielen) und hat Ahnung von guter Musik. Patrick Schwarz heißt er, nennt sich in seiner Band aber Black Pat. Die spielen Rock und Metal, aber meiner Meinung nach ist das eher Light Metal statt Heavy Metal. »Stairway to heaven«, was ich bei Kassiopeias Beerdigung gespielt habe, habe ich natürlich auch bei ihm gelernt.
Patrick ist jedenfalls so cool, dass er sofort einverstanden war, mich zum Konzert mitzunehmen. Als »echter Rock ’n’ Roller«, wie er meinte, sei Musik »alles« und überhaupt
müsse man »Verbotenes tun und gegen die Eltern rebellieren«. Dann schwärmte er mir noch was von seiner Jugend vor und wie cool er damals war, als er »heimlich geraucht und gekifft« hat. Dann haute er mir noch begeistert auf die Schulter und faselte was von »Sex, Drugs, Rock ’n’ Roll«.
Also wenn das alles zum Rock ’n’ Roller-Sein gehört, verzichte ich. Rauchen und Drogen finde ich nämlich überhaupt nicht cool. Sex ist vielleicht schon cool, aber noch nicht jetzt. Das haben meine Freundinnen und ich alle noch nicht ausprobiert. Mit wem auch, haha. Rauchen haben wir aber schon mal heimlich probiert. Nie wieder! (Hoffentlich sage ich das nach meinem ersten Sex nicht auch?) Zigaretten stinken jedenfalls, schmecken nicht, kosten schweineviel und man macht sich selbst noch damit kaputt. Ich mach mich schon genug mit anderem selbst kaputt, wie zum Beispiel mit dem Waveboard an Fußballplatzstangen dranknallen. Das krieg ich sogar ganz umsonst hin, was brauche ich da noch so was wie Rauchen?
Patrick hat jedenfalls keine blöden Fragen gestellt, sondern gleich zwei Karten für das Konzert heute am Mittwochabend gekauft, und ich habe ihm das von meinem Nachhilfegeld bezahlt. Ob ich mir den E-Bass jetzt einen Monat früher oder später kaufen kann, ist auch schon egal. Fragt sich eher, ob ich ihn überhaupt noch kaufen kann, wenn Jan vielleicht auch nach den Osterferien keine Nachhilfe mehr will wegen dem ganzen Stress zurzeit.
So weit habe ich überhaupt noch nicht gedacht, fällt mir panisch ein. Keine Freundinnen mehr, kein Jan mehr und ohne Nachhilfe auch kein E-Bass mehr. Irgendwie passt
Patricks »No Future«-Spruch auf seinem Gitarrenkoffer auch gerade zu mir. Dabei war das ja echt schon vor einer Ewigkeit angesagt, vor bestimmt zwanzig Jahren oder so. Aber wenn ich schon keine Zukunft habe, dann will ich wenigstens eine Gegenwart, und die ist heute Abend beim Konzert!
»Ich hol dich um sechs ab, halbe Stunde
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