Nachhilfe in Erster Liebe
mehr an mir hat, dass es keine Nachhilfe mehr gibt und dass es nach dem wütenden Auftritt gestern überhaupt keinen Jan mehr in meinem Leben geben wird. Und schon fange ich wieder an zu weinen.
Mein Vater will mir einen neuen Badeanzug kaufen, um mich zu trösten. Das ist total lieb, aber es hilft auch nichts.
»Willst du nicht doch erzählen, was passiert ist? Vielleicht bei einem Eis?«, fragt meine Mutter. Aber ich schüttle nur den Kopf, weil ich ja selbst nicht weiß, was gestern bei Jan eigentlich wirklich passiert sein muss.
Mein Vater kauft dann meiner Mutter einen Badeanzug und sich selbst ein Eis und sie lassen mich bis zum Abendessen in Ruhe.
Auch wenn es zum Baden im Meer noch zu kalt ist, gehe ich solange an den Strand und starre aufs Wasser. Ich ziehe meine Sandalen aus und schreibe mit den Zehen »JAN« in
den Sand. Dann sehe ich zu, wie es von den Wellen wieder ausgelöscht wird. So wie Jan mich aus seinem Leben ausgelöscht hat.
Ich entwickle allerlei Theorien, was passiert sein könnte. Klar ist, dass Jan schon sauer auf mich gewesen sein muss wegen seinem Waveboardcrash vorgestern an der Ampel. Ich habe ihm dort nicht geholfen, nicht einmal gefragt, wie es ihm geht, und ihn sogar überhaupt nicht gegrüßt. Der Einzige, der auf ihn reagiert hat, war Patrick, und der hat gelacht. Logisch, dass Jan sich da lächerlich vorkommen muss. Aber er hat gestern Abend, als er bei uns an der Haustür stand, gesagt: »hätte ich nach gestern an der Ampel aber gleich wissen können.«
Das heißt, es muss danach noch irgendetwas anderes passiert sein, das ihn erst richtig wütend gemacht hat und das mit mir zu tun hat, obwohl ich gar nicht dabei gewesen bin.
Ich reime mir immerhin so viel zusammen, dass irgendjemand Jan irgendetwas erzählt haben muss, das angeblich ich über ihn erzählt hätte, was ihn offenbar völlig lächerlich macht.
Mir ist auch klar, dass dann jemand gelogen hat, aber wer? Und was hat derjenige eigentlich behauptet? Hat Siri vielleicht aus Rache ein Gerücht in die Welt gesetzt? Ist das die Retourkutsche, weil alle mir vorgeworfen haben, dass ich nur noch lügen würde? Wer lügt denn jetzt? Und was genau ist die Lüge?
Das Schlimmste am vielen Denken ist, dass ich dabei so allein bin. Jan kann ich nicht fragen, was passiert ist. Schließlich
hat er extra gesagt, ich soll ihn nie wieder anrufen. »Nie wieder«. Noch nie hat etwas so schlimm geklungen.
Und ich heule schon wieder, wenn ich denke, was das alles heißt: Lernen, Lachen, Kochen, Reden, Weinen, Umarmen, von mir aus sogar Waveboard fahren – alles wird »nie wieder« sein. Mein ganzes Leben kommt mir sinnlos vor. Wenn ich jetzt ins Meer ginge und ließe mich einfach treiben und von den Wellen wegspülen, wem würde das schon etwas ausmachen? Katja Gärtner fehlt niemandem. Selbst meine Freundinnen haben mich nicht mehr angerufen oder wenigstens eine SMS geschickt, als ich am letzten Schultag gefehlt habe. Alle sind glücklicher, wenn ich nicht da bin. Selbst mein Bruder, der dann seine Ruhe hat. Höchstens meinen Eltern würde auffallen, dass ich nicht mehr da bin. Aber helfen können sie mir jetzt auch nicht.
Also hocke ich hier mutterseelenallein in Südfrankreich und meine Gedanken kreisen um Jan wie Fliegen ums Essen. Hocke ich dann eigentlich mutter- oder janseelenallein? Oder ist meine eigene Seele die einsame und ich hocke also katjaseelenallein?
Eigentlich hocke ich überhaupt nicht, sondern gehe am Strand entlang, wie ich gerade merke. Und zwar ziemlich lange schon. Und ziemlich weit. Und ziemlich kalt ist mir auf einmal auch, weil ich bis zu den Knien im Meer gehe, die Sonne aber schon hinter einem Berg ist und ich vorhin nur mit Shirt und dünner Dreiviertelhose losgegangen bin.
Ich renne jetzt zum Hotel zurück, was im nassen kalten Sand total schwer geht. Dafür wird mir aber wieder warm vom Rennen und ich vergesse sogar, an Jan zu denken, weil
ich dringend hoffe, das Hotel bald wieder zu finden, das ich längst nicht mehr sehen kann, und das Abendessen nicht zu verpassen, um nicht noch Ärger mit meinen Eltern zu kriegen.
Mir gelingt immerhin Ersteres, und meine Eltern sind aus Rücksicht sogar so nett, nicht mit mir wegen der Verspätung zu schimpfen und wegen meiner irgendwo am Strand verlorenen Sandalen.
Dafür bin ich am nächsten Morgen krank. Richtig krank. Nicht mehr nur wegen Jan, sondern mit Fieber und Schnupfen. Immerhin kann man jetzt nicht mehr erkennen, ob ich vom Weinen oder von
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