Nachhilfe in Erster Liebe
dürfen, um dort hoffentlich endlich zu erfahren, was passiert ist. Und fast ist mir egal, wie schlimm das, was passiert sein muss, wirklich ist, Hauptsache, ich weiß es endlich.
23. Kapitel
I ch erfahre tatsächlich eine ganze Menge. Sobald ich das Schulgelände betrete, überfällt mich eine Horde Hyänen. Die Hyänen blitzen mit drohenden Augen und zeigen mir ihre Zähne, und weil sie leider zur Gattung der Acht-und Neuntklässlerinnen gehören, zerreißen sie mich mit Sätzen.
»Du hast uns die ganze Zeit belogen, du falsches Stück.«
»Ich hätte nie gedacht, dass du so ’ne billige Nummer abziehst. «
»Klar, dass eine wie du einen Freund erfinden muss, weil sie garantiert nie einen abkriegt.«
»Du bist und warst überhaupt nicht mit Jan zusammen, von wegen ihr habt euch geküsst.«
Jede, die ich sehe, sagt etwas Ähnliches zu mir. Und die, die nichts sagen, sagen genug mit ihren Blicken. Aber immerhin weiß ich jetzt schon mal ungefähr, worum es geht. Beziehungsweise nicht geht. Denn mit Mundgeruch oder schlechtem Küssen wie in meiner Theorie scheint es absolut nichts zu tun zu haben.
»Ich habe nie erzählt, dass ich mit Jan zusammen bin. Das
wart ihr«, versuche ich die Angriffe richtigzustellen, aber die Mädchen wollen mir gar nicht glauben.
»Du schuldest mir einen Schokoriegel«, keift Melanie. Carolin und Evelin laden mich schon mal vorsorglich von ihrem Geburtstag im Juni aus, und Lena hält sich demonstrativ die Nase zu, als sie mich sieht. Ich sehne mich fast nach meinen leeren Tagen in einem französischen Bett.
Ich darf nicht heulen.
Ich darf nicht heulen.
Ich darf nicht heulen, sage ich wie bei einer Strafarbeit mehrmals vor mich hin. Wenn ich nämlich richtig heule, sehe ich so lächerlich aus, dass »lächerlich« gar kein passender Ausdruck mehr dafür ist, wie lächerlich ich dann aussehe.
Aber ich habe immer noch keine Ahnung, woher auf einmal alle wissen, dass zwischen Jan und mir gar nichts gelaufen ist. Bisher wollte mir keine glauben, wenn ich das gesagt habe. Jetzt glauben sie mir nicht, dass ich das überhaupt je gesagt habe. Am meisten interessiert mich aber, was Patricia, Siri und Marie glauben, die nicht auf mich losgestürmt sind, sondern im Gegenteil versuchen zu gucken, als sei ich gar nicht da. Oder vielmehr, als seien sie gar nicht da.
Ich habe bis zur großen Pause zwei Unterrichtsstunden Zeit, dieses Verhaltenssudoku zu lösen, und hoffe optimistisch, die drei haben ein schlechtes Gewissen, weil sie mir die ganze Zeit nicht geglaubt haben. Aber als ich mich auf meinen Platz neben Patricia setze und lächelnd »Hallo« sage, wirft sie mir einen eisigen Blick zu, zischt »Spar’s dir« und schiebt ihre Schulsachen ein Stück von mir weg.
Ich schlucke entsetzt und bin zwei Stunden lang so still wie noch nie im Unterricht. Leider bin ich auch still, als Frau Hoff mich etwas fragt. Und bleich muss ich auch sein, weil sie mich darauf anspricht.
»Geht’s dir nicht gut? Du siehst aus, als würdest du krank werden, Katja.«
»War sie doch schon, wie immer vor den Ferien«, ätzt Siri gehässig wegen meines geschwänzten letzten Schultages.
»War ich wirklich«, gifte ich unter Tränen zurück. Immerhin lässt mich Frau Hoff bis zur Pause in Ruhe und die anderen auch. Patricia wirft mir insgeheim Blicke zu. Ich weiß nicht, was das heißt, aber ich bin schon froh, dass sie mich nicht mehr ignoriert. Vielleicht können wir in der Pause einfach in Ruhe über alles reden?
Können wir nicht. Als ich ein unverfängliches »Na, wie war’s so in den Ferien?« versuche, tippt Patricia mit ihren spitzen Finger auf die Brust. »Bevor du dich nicht entschuldigt hast, mache ich bestimmt keinen Small Talk mit dir.« Damit lässt sie mich stehen und geht gemeinsam mit Marie und Siri in den Pausenhof.
Als ich dann auch ganz langsam hinausgehe, habe ich das Gefühl, alle würden mich anstarren. Dabei ist eher das Gegenteil der Fall. Die meisten ignorieren mich. Okay, die allermeisten kennen mich überhaupt nicht. Aber von denen, die mich kennen, scheinen einige mich nicht mehr kennen zu wollen.
Vor allem Jan, den ich in seiner üblichen Ecke mit seinen Kumpeln sehe. Es scheint ewig her zu sein, dass auch ich mal
zu seinen Kumpeln zählte. Dabei ist das erst knapp zwei Wochen her. Für mich ist es aber wie in einem anderen Leben gewesen, das mit meinem jetzigen leider gar nichts mehr zu tun hat.
Ich lehne einsam an der Schulmauer und vergrabe mich in mein Brot.
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