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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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der Krieg die Tür noch weiter geöffnet. Auch deshalb, weil die Eltern mit dem Aufbau einer neuen Existenz beschäftigt waren und wenig Aufmerksamkeit für ihre Kinder hatten.« Seit sie weiß, dass sie Missbrauchsopfer ist, kann sie nachvollziehen, warum sie als Kind so lieb, so angepasst und unauffällig war. Warum sie ihrem Hund und ihrem Pferd mehr vertraute als ihren Eltern.

Alpträume und unwirksame Gebete
    Sie berichtet von wiederkehrenden Träumen ihrer Kindheit: Sie geht auf ihr Elternhaus zu und merkt, sie wird verfolgt. Jemand geht mit ihr ins Haus, jemand will sie erschießen, niemand kommt, um sie zu beschützen. »Entweder das Haus war leer oder voller Leute«, erzählt Vera weiter, »ich fand meine Eltern nicht, oder sie waren da, haben mich aber nicht wahrgenommen. Ich sollte erschossen werden und bin mit dem Knall aufgewacht.«
    |57| Oft wachte sie weinend auf und suchte Schutz im Elternschlafzimmer. Der Vater stand auf, brachte sie ins Bett zurück und betete mit ihr. Die Gebete, erinnert sich die Tochter, hätten sie in keiner Weise beruhigt. Keine Frage vom Vater: Was hast du geträumt? Kein Erstaunen darüber, dass ein Kind so verängstigt sein kann.
    Bis in ihre vierziger Jahre hinein hatte Vera Christen geglaubt, der abwesende Vater habe bei ihrer Entwicklung kaum eine Rolle gespielt. Sie sei vielmehr durch eine ungute Fürsorge für ihre Mutter geprägt. Seit sie sich erinnern kann, hatte sie sich für deren Wohlergehen verantwortlich gefühlt. Heute glaubt sie, sie habe – was ihr aber nicht bewusst gewesen sei –, etwas Unerlöstes, etwas Unheiles in ihrem Vater gespürt, obwohl sie ihn als stark sah und ihn bewunderte. Anders kann sie sich ihre große Anstrengung nicht erklären, die sie immer wieder auf sich nahm, in der Hoffnung, den Vater emotional zu erreichen. Es war sogar ihrer besten Freundin in der Jugendzeit aufgefallen, wie sie sehr sich darum bemühte, von ihrem Vater beachtet zu werden. »Lauf ihm nicht hinterher«, hatte die Freundin geraten. Es war dieselbe Freundin, die sie vor einem halben Jahr angesichts einer schweren Ehekrise fragte: »Willst du immer noch Männer retten?«
    Es gibt Väter, die sind stolz auf ihre hübschen Töchter – jene Väter, die den Mädchen die Erlaubnis geben, sich später als Frau wohl zu fühlen. Vera Christen und ich reden eine Weile über Väter, die ihre heranwachsenden Töchter gern verwöhnen. Nach dem konventionellen Rollenverständnis verwöhnen Mütter ihre Söhne und Väter ihre Töchter. Vera bekam von ihrem Vater keine Aufmerksamkeit, keine Komplimente, erst recht keine unerwarteten Geschenke. Nie wäre er auf die Idee gekommen, Zeit und Geld zu opfern, um mit ihr ein schönes Kleid kaufen zu gehen.
    Als ich das Gespräch mit Vera Christen führte, war gerade auch ihre zweite Ehe gescheitert. Während ich ihre Geschichte schrieb und mir dabei Gedanken über die leidvollen Männerbeziehungen machte, rief sie mich an und teilte mir mit, sie merke erst |58| jetzt, welchen Stress sie damit habe, sich verwöhnen zu lassen. Der Hintergrund: Sie hatte sich, nachdem ihr Mann ausgezogen war, umgehend wieder verliebt. Dieser neue Freund arbeite in ihrem Umfeld und sei – oh Wunder – Single und nun, erzählt sie freudig weiter, habe es zwischen ihnen »gefunkt«. Im Zusammensein mit Gregor, so hieß der Neue, hatte sie sich offenbar von ihrem alten Beziehungsmuster verabschiedet. »Es enthielt einen absurden und natürlich nicht zu erfüllenden Auftrag«, erläutert sie mir, »und dieser Auftrag lautete: Ich muss meinen Partner erst heilen, erst danach kann ich kommunizieren – erst danach kann ich endlich von ihm bekommen, was ich brauche. Das Scheitern empfand ich als mein alleiniges Versagen, mit tiefen, kaum auflösbaren Schuldgefühlen.«

Das Ende falscher Schuldgefühle
    In ihrer ersten Ehe war es ihr so ergangen. »Ich war elf Jahre verheiratet und hatte danach noch weitere zehn Jahre Schuldgefühle«, schildert sie ihre Verzweiflung. Erst jetzt, in diesem Jahr, als auch noch die zweite Ehe in die Brüche ging, habe sie sich zu ihrer großen Überraschung und Erleichterung überhaupt nicht schuldig gefühlt. »Dazu muss ich sagen: Wenn ich mich früher verliebte, dann in Männer mit einem riesigen Bedürfnis nach Halt oder Trost. Es waren Männer, die ich anfangs für stark hielt. Ich habe regelmäßig mich selbst verloren, habe keine eigenen Bedürfnisse mehr gehabt, und stattdessen nach ihnen geschmachtet – da steckt ja

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