Nachkriegskinder
auf deutscher Seite leugnen oder relativieren. Das aber, so meinten meine Kollegen, sei für sie als Journalisten, aber eben auch als Söhne von Kriegsvätern unerträglich – eine denkbar ungünstige Voraussetzung, um faire, ergebnisoffene Interviews zu führen. Die andere Seite ist: Wir wissen nicht, ob Männer wie Bernhard Klemm sich hätten befragen lassen.
Beim Nachdenken über den Vater von Vera Christen war mir ein Gespräch eingefallen, das ich vor fünf Jahren mit dem Schriftsteller Dieter Wellershoff, geboren 1925, geführt hatte. Es ging um sein Buch »Der Ernstfall – Innenansichten des Krieges« 7 , eine bestechend klare Selbstauskunft. Wellershoff hatte fünf Jahrzehnte gebraucht, um sich als Schriftsteller dem zu stellen, was ihm als 19-Jährigem auf dem Schlachtfeld widerfuhr.
|63| Drittes Kapitel
Vatertöchter
|65| Mutig und dickköpfig?
Wer sind sie eigentlich, die Vatertöchter? Gehört Angela Merkel dazu, weil sie durchsetzungsfähig ist und als »Kohls Mädchen« in der Politik Karriere machte? Sind es Frauen, die auffallen durch Sachlichkeit, klaren Verstand und Mut? Eine eindeutige, mir wirklich einleuchtende Definition habe ich nirgends gefunden. Also bleibe ich bei dem, was ich immer schon dachte: Vatertöchter sind eigenwillige, häufig dickköpfige Frauen, die eine besonders gute oder besonders problematische Beziehung zum Vater haben. Selbst wenn er schon tot ist – sie stehen ihm nahe. Man erkennt Vatertöchter daran, dass sie viel über ihren Vater zu erzählen haben, im Guten wie im Bösen und selbst dann, wenn sie zugeben müssen, dass er letztlich für sie ein Fremder blieb. In diesem Sinn sehe ich in den beiden Frauen, die in diesem Kapitel zu Wort kommen, typische Vatertöchter.
Iris Mallek* hatte früher nur geschimpft, wenn die Rede auf ihren Vater kam. Sie hatte ihn nur als Familientyrann erlebt – ein Choleriker, aufbrausend und extrem launisch, ein Macho mit einem stockkonservativen Frauenbild. Gewalttätig war er nicht, doch ganz im Einklang mit der noch in den 60er Jahren üblichen Erziehung rutschte ihm gelegentlich die Hand aus. »Ich war schon 14, als er mir noch eine Ohrfeige gegeben hat«, erzählt Iris Mallek. »Ich weiß noch, ich hatte mich gestoßen und vor Schmerz aufgeschrien. Ein Onkel stand dabei und meinte: Bis du heiratest, ist es wieder gut. Da hab ich gesagt: Ich werde nie heiraten! Das war mir richtig ernst, das weiß ich noch. Da hat mein Vater sich umgedreht und gebrüllt: Wie kann man so etwas Blödes reden und hat mir eine gescheuert!« Eine Szene aus dem Jahr 1965.
Doch mit einem Fund auf dem Dachboden ihres Elternhauses änderte sich die Haltung der Tochter in einem Maß, wie sie es nie |66| vermutet hätte. Die Bühnenbildnerin war hinaufgestiegen in der Hoffnung, sie werde dort den alten Tisch finden, an dem sie so viele Stunden ihrer Kindheit gesessen und gemalt hatte. Er sollte als Requisite für ein Theaterstück dienen. Der Tisch war noch da. In seiner Schublade entdeckte Iris eine Mappe, deren Inhalt das Bild, das sie bis dahin von ihrem Vater hatte, erheblich aufhellte.
Als Jugendliche konnte sie ihn nicht ausstehen, als Erwachsene machte sie ihn genauso mit Worten nieder wie er sie. Iris war 29 Jahre alt, als er 1980 mit Ende Sechzig starb. Vor zwei Jahren dann fand sie einen in unregelmäßiger Schreibmaschinenschrift abgefassten Bericht, der eine völlig andere Seite von Erich Mallek* beschrieb: Er sei ein Mann von hoher Integrität, hieß es, menschlich und solidarisch, sein Verhalten könne nicht anders als vorbildlich bezeichnet werden.
Warum verbirgt jemand seine guten Seiten?
Es handelte sich um eine Beurteilung von Erich Malleks Einsatz in der örtlichen Entnazifizierungskommission. »Als ich das gelesen hatte«, erklärt die Tochter, »da habe ich zum ersten Mal in meinem Leben positiv über ihn gedacht.« Aber wieso wusste sie davon nichts? Warum hatte ihr Vater nie ein Wort darüber verlauten lassen? Normalerweise verschweigen Menschen doch Geschehnisse aus der Vergangenheit, die ein schlechtes Licht auf sie werfen könnten. Aber hier lag der Fall genau umgekehrt. Erich Mallek, Jahrgang 1922, hatte das gute Licht gemieden. Er hatte sich in den Schatten gestellt.
Mir gegenüber stellt die Tochter klar, sie habe ihren Vater nie für einen Nazi gehalten, er sei auch kein »alter Kommiskopp« gewesen. Er hatte sich geschworen, nie wieder ein Gewehr anzufassen. Die Wiederbewaffnung war in seinen Augen ein nie wieder
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