Nachkriegskinder
in seinem Leben erfuhr Reinhard Pahle offene Wertschätzung. Daran, verrät er mir, habe er sich nur langsam gewöhnen können. Wenn er im Seminar gelobt wurde, war sein erster Impuls: Der meint nicht mich, der meint jemanden hinter mir.
In diesen Jahren wuchs in ihm der Wunsch herauszufinden, wer sein Vater tatsächlich gewesen war. Aber bei der Mutter traute er sich nicht nachzufragen. Ihr Leid über den Verlust bestimmte noch immer ihr Fühlen und Handeln. Womöglich hätte sie in den Fragen des Sohnes Kritisches gewittert und sie von vornherein abgewehrt. »Auf die Lichtgestalt meines Vaters durfte eben nicht der geringste Schatten fallen«, erklärt Reinhard Pahle. Er wollte damals seine Mutter nicht verletzen und darum forschte er nicht weiter nach.
Reinhard Pahle fragt, ob ich noch Kuchen wolle, und ich sage, sehr gern, und darüber hinaus würde ich gern etwas über seine Beziehungen zu Frauen erfahren. Wie nicht anders zu erwarten, hatten ihn seine ersten Erfahrungen in Ratlosigkeit gestürzt. Was wurde von ihm erwartet? Wie hatte man als Mann zu sein? Selbstbewusste Frauen mied er. Nur eines schien für ihn festzustehen: In Abgrenzung zum Ehemodell seiner Eltern sollte eine Frau nicht finanziell von ihm abhängig sein, sondern ihr eigenes Geld verdienen. »Diese Einstellung war wohl rein kopfgesteuert«, gibt er zu. In seiner Partnerschaft zeigt sich bis heute eine ganz andere Dynamik, ein Reflex, der auf dem Rollenbild beruht, das ihm von den Eltern vorgelebt wurde. »Ich hätte oft gern, dass meine Frau so spurt wie meine Mutter gespurt hat«, bekennt er lachend. »Das würde doch vordergründig vieles einfacher machen.«
|136| Bedauern über die eigene Kinderlosigkeit
Am Anfang war ihre Beziehung eine geschwisterliche gewesen. »Meine Frau sagt immer: Ich war schwach weiblich, du warst schwach männlich, da brauchten wir voreinander keine Angst haben.« Und er fügt hinzu, Männlichkeit–Weiblichkeit bleibe bei ihnen Dauerthema und daran werde sich wohl für den Rest ihres Lebens nichts ändern.
Die Kinderlosigkeit ihrer Ehe bedauern sie sehr. Beide haben sie in ihren sozialen Berufen mit Kindern oder Jugendlichen zu tun. Er sagt, er habe durchaus eine väterliche Seite, denn: »Ich lebe meine Vaterrolle an der Grundschule.« Heute, fügt er hinzu, bewundere er Männer, die gegen den Strom schwimmen, die Position beziehen ohne Angst vor Nachteilen. Er selbst sei diesbezüglich immer noch ein Zauderer, es sei denn, er setze sich für andere ein. Als Vorbild nennt er Richard von Weizsäcker.
Womit wir fast wieder beim Thema Vater angekommen sind. Ich frage ihn, ob ihn das Ergebnis seiner Nachforschungen in Berlin erleichtert habe? Zu meiner Überraschung zögert er. Den Vater habe er schon seit vielen Jahren von seinem Podest heruntergeholt, schickt er voraus, aber dabei habe sich etwas verschoben. »Meine innere Logik war: Wenn er schon nicht dieser große Mann ist, den ich früher so bewunderte, dann muss er wenigstens ganz viel Dreck am Stecken gehabt haben …« Hier unterbricht er sich und belächelt nachsichtig das Abstruse seiner Vorstellungen.
Weder im Guten noch im Bösen sei der Vater etwas Besonderes gewesen, stellt er mit Nachdruck fest. Daran müsse er sich erst einmal gewöhnen. Eine emotionale Leerstelle sei die Folge – nun habe er überhaupt kein Vaterbild mehr.
Wir kommen auf die Wehrmachtausstellung zu sprechen. »Hier ist mir die Beteiligung meines Vaters an den Verbrechen vor Augen geführt worden«, sagt er, »weil es zu diesem Krieg gehörte, dass auch Zivilisten getötet wurden. Mein Vater muss von den Massenmorden hinter der Front sehr viel mitbekommen haben.«
|137| Ich frage ihn: Kennt er als Sohn die stellvertretende Schuld? »Und ob«, bestätigt er. »Ein Freund von mir, ein Niederländer, sagt oft: ›Dass ihr euch so lange damit herumquält, …!‹ Aber so ist es. Ich nehme bevorzugt Bücher in die Hand, die mit dieser Thematik zu tun haben.« Es beschäftigt ihn, seit er 18 Jahre alt ist. Die Schuldfrage lässt ihn nicht los – sein Gefühl, etwas wiedergutmachen zu wollen. Noch immer besucht er alle Veranstaltungen, in denen ehemalige KZ-Häftlinge zu Wort kommen. Einige Jahre hat er an einer Gesamtschule unterrichtet und dort entsprechende Projekte ins Rollen gebracht. Es wurde über Themen der NS-Vergangenheit vor Ort geforscht. Auch suchte der Lehrer den Kontakt zu ehemaligen Zwangsarbeitern aus der Ukraine und lud sie, nachdem er Sponsoren für die Kosten
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