Nachkriegskinder
Bild-Zeitung in Hamburg müsse blockiert werden. Er wurde verhaftet, sein Vater musste ihn aus der Polizeikaserne abholen. »Meine Mutter hat das nie erfahren. Mein Vater und ich haben deshalb auch nicht gestritten«, erzählt Brenner. »Das Einzige, was er dazu sagte, bezog sich auf die Polizisten: ›Wenn sie dir etwas getan hätten, hätte ich geschossen!‹ Später machte ich mir einen Reim darauf. Nach seinem Tod habe ich seine Pistole gefunden. Die habe ich dann in einem Kanal versenkt …«
Jetzt erst wird mir klar, was er am Anfang unseres Gesprächs mit dem Erbe seines Vaters gemeint hat. Auch Karl Brenner war ein Kämpfer gewesen, und dies keineswegs im übertragenen Sinn. |163| Im Krieg gehörte er den Fallschirmjägern der Wehrmacht an, er war zum Nahkämpfer ausgebildet worden. Als Michael noch Kind war, hatte ihm der Vater gelegentlich von seiner Zeit als Soldat erzählt. Der Sohn hatte sich ein bisschen geadelt gefühlt, denn dies war stets »ein Gespräch unter Männern« gewesen, das die Mutter und erst recht die kleine Schwester ausgeschlossen hatte. Er habe alles gut behalten, sagt Brenner, er habe damals gespürt, wie wichtig es dem Vater gewesen sei, sich ihm mitzuteilen.
Karl Brenner starb 1981 an einem Herzinfarkt, dem vierten. Im Nachlass befanden sich drei Tapferkeitsauszeichnungen, von denen er seinem Sohn nie erzählt hatte. Auch ein zugeklebter Umschlag lag dabei, er enthielt einen Brief in französischer Sprache, handschriftliche Notizen und einige Schwarzweiß-Fotos von einer Frau. Offenbar hatte der Vater im Krieg eine Freundin gehabt. Warum auch nicht, dachte sein Sohn, damals 30 Jahre alt, und ging dem nicht weiter nach. Er vergaß den Umschlag wieder. Genauso wenig interessierten ihn das Eiserne Kreuz und die anderen Orden. Er hatte den Wehrdienst verweigert, die Welt des Militärischen war für ihn ohne Bedeutung. Das änderte sich erst nach dem Zeitzeugen-Interview. Seitdem hat er den Wehrmachtshintergrund seines Vaters erforscht. Noch ist es ein Puzzle mit Leerstellen, kein vollständiges Bild, und doch reicht es, denn es hat Michael Brenner klar gemacht: Ich habe meinen Vater vorher überhaupt nicht gekannt.
Himmelfahrtskommando
Karl Brenner, Jahrgang 1916, hatte sich offenbar schon vor dem Krieg freiwillig zur Luftwaffe gemeldet und kam später als Mitglied der Elitetruppe an die Westfront. Wie sein Sohn herausfand, wurde er bei Sonderkommandos in Belgien und Frankreich eingesetzt. Es wurden jeweils 30 Fallschirmspringer in Lastenseglern auf die andere Seite der Front geflogen, mit dem Auftrag, hinter den Kampflinien abzuspringen, um dort gemeinsam strategische |164| Ziele wie Brücken oder Kraftwerke anzugreifen. Michael Brenner erzählt, es habe sich um Himmelfahrtskommandos gehandelt – daher die Orden – und Gefangene seien nicht gemacht worden. Sein Vater sei zum Killer ausgebildet worden, allerdings auch zum Sanitäter, um die eigenen Leute zu versorgen. Der Krieg im Westen, fügt er hinzu, habe sechs Wochen gedauert und am Ende sei sein Vater zum Unteroffizier befördert worden. Wenn Karl Brenner später in Hamburg seinem Kind vom Krieg erzählte, sagte er oft, die Jahre in Nordfrankreich und Belgien seien die glücklichsten seines Lebens gewesen.
Als Sohn Michael in der Wehrmachtsauskunftsstelle nachforschte, stellte sich heraus: Die Beförderung 1940 zum Unteroffizier in Stabsfunktion ist noch vermerkt, aber dann verschwinden alle Spuren. Karl Brenner taucht in den Akten erst wieder mit der Entlassung aus der englischen Gefangenschaft auf. »Er hat mir als Kind erzählt, er habe kurz vor Kriegsende noch die Zeit gehabt, alle Akten zu vernichten«, erinnert sich sein Sohn. »Auch sei er – für einige Stunden oder gar einen Tag – der letzte Stadtkommandant von Brüssel gewesen, als die höheren Tiere alle schon geflohen waren.« Und noch etwas anderes ist ihm im Gedächtnis geblieben: »Mein Vater hat die Lage so dargestellt, als habe er in seinem Büro auf dem Stuhl gesessen und ruhig gewartet, bis die Engländer ihn gefangen nahmen. Heute weiß ich, es hat in Brüssel einen dreitägigen Endkampf gegeben. Das alles weckte natürlich mein Misstrauen.«
Brenner versucht bis heute, sich einen Reim darauf zu machen, warum sein Vater, der ja nachgewiesen ein erfahrener Kämpfer war, nicht beim Russlandfeldzug eingesetzt wurde. Wie schaffte er es, die ganzen Jahre in Belgien und Nordfrankreich zu bleiben? Womit machte er sich unentbehrlich? »Was immer er konkret
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