Nachkriegskinder
getan hat, wahrscheinlich hat er einen guten Job gemacht«, stellt Michael Brenner nüchtern fest, »sonst wäre er ja wohl an die Ostfront abkommandiert worden.« Er geht davon aus, dass Belgien in der Besatzungszeit von nur knapp 1000 Deutschen verwaltet |165| wurde. Ihre wesentlichen Ziele waren die Rekrutierung von Zwangsarbeitern, die Deportation der Juden und die wirtschaftliche Ausbeutung zugunsten der deutschen Kriegswirtschaft und zur Versorgung der deutschen Bevölkerung.
Auch ich versuchte mir nach unserem Gespräch vorzustellen, wie die Aufgaben seines Vaters in Brüssel ausgesehen haben könnten. Ich dachte, man muss ja nicht immer das Allerschlimmste annehmen, und konzentrierte ich mich auf den Raubkrieg, auf das Auspressen des ganzen besetzten Landes und seiner Bewohner. In dem Buch »Der Volksstaat« von Götz Aly entdeckte ich Grafiken aus dem Geheimbericht des deutschen Militärverwaltungschefs in Belgien, Überschrift: »Belgiens Leistungen für die deutsche Kriegswirtschaft«, Stand: 1. März 1942. 21 Anschaulich wie in einem Bilderbuch wird dargestellt, dass Belgien Gold im Wert von 335 Milliarden Reichsmark »geliefert« hat und dass noch weitere 223 Milliarden zu erwarten sind. Wir sehen auf der linken Seite des Blattes einen ansehnlichen Stapel Goldbarren – das belgische Gold – und rechts zum Vergleich einen kleinen Haufen, nämlich der »ausgewiesene Goldbestand der Reichsbank, 76 Milliarden Reichsmark.«
Wie Besatzer ein Land ausräubern
Unten auf dem Blatt, mit der Überschrift »Wert des Feind- und Judenvermögens«, wird die Summe von 700 Milliarden Reichsmark angegeben; sie wird verglichen mit dem Aktienkapital der »I. G. Farbenindustrie AG.« in Höhe von 800 Milliarden Reichsmark. Zwei Abbildungen von fast gleich hohen und sorgfältig geschnürten Geldscheinstapeln machen die erfreuliche Lage auf einen Blick deutlich. Man kann sich leicht vorstellen, wie viel Wohlwollen dieser geheime Wehrmachtsbericht bei den Räuberhäuptlingen in Berlin auslöste.
Und dann, auf der nächsten Seite, die Dokumentation eines weiteren Meisterstücks deutscher Besatzungsverwaltung. Es geht |166| um die Lebensmittelrationierung, Überschrift: »Verhältnis des Verzehrs von Nahrungsmitteln in Belgien«. Verglichen wird der Verbrauch des Jahres 1938 mit dem von 1941. Überaus anschaulich sind die Bilder. Großer Kartoffelsack neben kleinem Kartoffelsack, normales Brot neben kleinem Brot, große Wurst neben Miniwurst. Unübersehbar ist die Tüchtigkeit der deutschen Wehrmacht in Belgien. Der Verbrauch von Tabak ging auf etwa ein Drittel zurück, von Kartoffeln auf ein Viertel, von Brot auf ein Fünftel, von Bier ebenfalls, Fleisch auf ein Sechstel – Kaffee und Fette sind kaum noch vorhanden.
Götz Aly brachte das aufschlussreiche Dokument in einem Kapitel unter, dem er die Überschrift »Schlemmerlokale in Belgien« gab. Dort steht zu lesen, Hermann Göring habe im Frühjahr 1943 verlangt, dass »in Belgien das optische Bild der Einzelhandelsgeschäfte und Vergnügungslokale auf einer nahezu friedensmäßigen Stufe belassen werde«. Demnach seien »Schlemmerlokale, Bars und sonstige Vergnügungsstätten« im besetzten Europa dann nicht zu schließen, »wenn sie« – immer noch O-Ton Hermann Göring – »von deutschen Soldaten zur Ablenkung oder Auffrischung besucht werden oder werden können.« 22
Immer wieder habe ich als Jugendliche von ehemaligen Wehrmachtsangehörigen gehört, sie hätten im westlichen Besatzungsgebiet gelebt »wie Gott in Frankreich«. Kein Wunder also, dass auch Karl Brenner seinem Sohn gegenüber häufig die Zeit in Belgien als »die glücklichsten Jahre seines Lebens« bezeichnete. Michael Brenner ist davon überzeugt: Viele, viele Stunden wird der Vater – allein in seinem freudlosen kleinen Zimmer in Hamburg – mit seinen schönsten Erinnerungen verbracht haben. »Als Kind habe ich ihn dabei mehrfach überrascht«, erinnert sich der Sohn, »und immer wirkte er ganz weit weg. Heute weiß ich: Er war in Brüssel, er war bei Yvonne und dem Kind.«
|167| Die Geschichte von Yvonne und Karl
Yvonne ist der Name von Vaters Freundin. Der Sohn kennt ihn erst seit wenigen Jahren, seit er auf die Idee kam, sich den Inhalt des Briefumschlags aus dem Nachlass genauer anzusehen. Abgegriffene Schwarzweiß-Fotos erzählen von Karl Brenners glücklichsten Lebensumständen und wie sehr er sich danach zurücksehnte. Eines der Fotos zeigt ihn als deutschen Offizier mit einer schönen
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