Nachkriegskinder
Altersgruppen zu.
Wir kommen noch einmal auf seine dünnen Kontakte zu seiner Herkunftsfamilie zu sprechen. Michael Brenner sagt, er habe diese Entscheidung schon früh getroffen. Spätestens nach seinem zwanzigsten Geburtstag habe er sich für sein Leben selbst verantwortlich gefühlt. Er zweifelt nicht an den guten Absichten seiner Eltern. »Sie werden getan haben, was ihnen möglich war und so gut wie sie es eben konnten.« Ihnen die Schuld für eigene Misserfolge und Defizite zu geben, lehnt er ab. Er macht keine Vorwürfe – er sieht Prägungen und früh gelernte Muster. Freimütig bekennt er sich zu seinen »autistischen Phasen« – Reste eines Überlebensprogramms aus Kindheit und Jugend. Es kann geschehen, dass er sich ein halbes oder dreiviertel Jahr zurückzieht, wenig soziale Kontakte hat. Depressiv sei er dann nicht, versichert er, sondern er kreise dann um sich selbst.
Tendenziell sieht er sich als Einzelgänger. Seine Ehe ist gescheitert, er war mit einer sehr viel jüngeren Ausländerin verheiratet. »Natürlich denkt man da an den eigenen Vater«, fügt er hinzu. »Diese Analogien sind mir schon bewusst. Und was meine Kinderlosigkeit |170| betrifft: Kinder hätte ich mir vorstellen können, aber ich brauchte keine. Für Familie fehlten mir die positiven Vorbilder.« Als sein Vater 1981 starb, sei es für ihn eine Befreiung, aber auch ein Verlust gewesen. »Doch, ich war auch traurig, ich habe schon an ihm gehangen«, bekennt er. »Mein Vater hat viel für mich getan, er hat den Schulerfolg ermöglicht, er hat mich lange im Studium unterstützt, obwohl wir sehr kontroverse Ansichten hatten.«
Große Probleme mit Autoritäten
An der Universität begann Michael Brenners Entwicklung zum intellektuellen Kämpfer. Das ist ihm geblieben bis heute, darauf kann er sich verlassen, vor allem, wenn es darum geht, sich von Autoritäten abzugrenzen. »Mein Leben lang habe ich Probleme mit Vaterfiguren und mit Autoritäten.« Bei ihm klingt es so, als wäre er sogar ein bisschen stolz darauf. »Sie können mich nachts um 3 Uhr aus dem Tiefschlaf wecken und ich kann jeden moralisch und intellektuell zerlegen. Damit stehe ich keineswegs allein da. Viele in meiner Altersgruppe haben auf Grund ihrer frühen Konditionierung, das ist mir bewusst, diesen Drang, sich an Autoritäten abzuarbeiten.« Insgesamt ist sein Blick auf die »Kinder der Verlierer« ein wohlwollender.
Sehe ich mich im Freundeskreis um, so hat meine Generation ihr Ziel erreicht. Wir sind nicht so geworden wie unsere Eltern. Aber die Gegenwart hat auch nichts mehr mit der Nachkriegszeit zu tun. Meine Generation muss keine Untaten verdrängen. 24
Michael Brenner ist ein Freund deutlicher Worte. Vielleicht hat er ja auch das von seinem Vater geerbt, der nie ein Blatt vor den Mund nahm. Keine Frage, er tat es verletzend, häufig in einer üblen Soldatensprache, aber er war nicht das Fähnchen, das sich |171| nach dem Wind dreht. Und wenn wir schon beim Positiven sind: Karl Brenner schenkte Michael in der Kindheit die schönsten und dramatischsten Fußballereignisse. Spätestens seit dem Film »Das Wunder von Bern« wissen wir: So etwas ist ein Schatz fürs Leben. So etwas vergisst ein Sohn seinem Vater nie.
Manche Soldatenväter waren lieblos, hart, ausschließlich auf sich selbst bezogen und niemals nur eine Sekunde entspannt. Auch wenn es im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Therapeutenmeinung steht: Über manche Väter lässt sich einfach nichts Gutes sagen. Einen solchen Vater muss man nicht lieben. Ein solcher Vater wird oft gehasst. Darüber hinaus gibt es die Töchter und Söhne, die gar nicht anders können, als ihren Vater zu lieben. Sie sagen: Er hatte bestimmt auch gute Seiten, ich kann sie nur nicht erkennen, auch er wird sein Päckchen zu tragen gehabt haben. Wer weiß, was ihn zu der Person machte, die er uns gezeigt hat. Daher: Was immer er mir angetan hat – Schwamm drüber, das Leben wird vorwärts gelebt … So funktioniert Verdrängung, und ohne die Fähigkeit zu verdrängen, würden Menschen ihr Leben nicht meistern können. Aber Verdrängung funktioniert nicht zu jeder Zeit; mit zunehmendem Alter wird es schwieriger, sie aufrechtzuerhalten, ohne dass die seelische Gesundheit Schaden nimmt. So kann es geschehen, dass sich die Selbstberuhigung als fauler Frieden erweist, der im Unterbewusstsein so lange gärt, bis die Seele erkrankt, an einer Depression zum Beispiel.
Ein Suizid vor 2000 Menschen
Bei der
Weitere Kostenlose Bücher