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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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leisen Lachen. »Das war offensichtlich die Metapher für mein Unterbewusstsein, diese Nazisache zu verarbeiten oder nicht zu verarbeiten.« Dann wird ihre Stimme ernst: »Ich meine, was damals geschah, es bleibt doch unfassbar. Was an Verbrechen möglich war und wie leicht es die Täter hatten. Wie dünn diese Kruste der Zivilisation ist. Es macht auch grundsätzlich Angst, dieser Vulkan, der unter so vielen Gesellschaften lauert …«
    Ihres Vaters Name ist im Zusammenhang mit Massenmord nicht aufgetaucht. Ob Manfred Augst dennoch ein Kriegsverbrecher war? Ute Scheub weiß es nicht; zu groß sind noch die Lücken in ihren Nachforschungen. «Ich bin etwas frustriert, weil ich über seine Endzeit als Soldat nichts herausbekommen habe«, erklärt sie freimütig. »Da bin ich nach wie vor überzeugt, dass er schlimme Sachen gemacht hat. Es handelt sich um ein Gefühl, mehr nicht, und um einige, wenige Indizien. Über seine Zeit in Italien ist kaum etwas archiviert. Keine Unterlagen, keine Spur – außer, dass er eine gefälschte Bescheinigung besaß, wonach er zu den Partisanen übergelaufen war.«
    Manfred Augst wurde 1913 geboren. Einen Mitläufer kann man ihn nur schwerlich nennen. Er trat in die SS ein, er studierte Rassekunde. Sein Wunsch, das Arische im deutschen Volk zu veredeln, muss groß gewesen sein. Am liebsten wäre er »Zuchtwart« geworden – ein Begriff, auf den Ute Scheub in ihres Vaters Unterlagen stößt. »Zuchtwart« gehörte nicht zur Terminologie des Nationalsozialismus, |175| offenbar handelt es sich um eine Wortschöpfung des Rassenfanatikers.

Spezialist im Umgang mit Sprengstoff
    Als der Krieg ausbrach, meldete er sich zur Waffen-SS und wurde dort wegen einer Sehschwäche abgelehnt, was ihn, wie die Tochter vermutet, tief gekränkt haben muss. Sie hat seine Spuren und Stationen in der Wehrmacht verfolgt. Zuletzt war er in Norditalien eingesetzt, ein Spezialist im Umgang mit Sprengstoff. Karriere machte er weder als SS-Mann noch als Soldat. Seine Tochter hat eine Erklärung dafür: »Er war ja Gott sei Dank so querulatorisch, dass er nicht hochgekommen ist.« Nach dem Krieg ermöglichte ihm eine Teilamnestie den Schritt zurück ins bürgerliche Leben. »Rassekundler« wurden nicht mehr gebraucht. Er studierte Pharmazie. Wie seine Tochter ihn beschreibt, war er ein Mann voller Widersprüche: Nazi, Christ und Pazifist.
    Er brachte sich um, als Ute 13 Jahre alt war. 35 Jahre später findet sie auf dem Speicher Dokumente, Tagebuchnotizen, Manuskripte und eine große Zahl von Abschiedsbriefen, die vor allem eines offenbaren: einen Mann, dessen Gedanken ständig um sich selbst kreisen – mit Inhalten, die für die Außenwelt kaum nachvollziehbar sind. In einem seiner Abschiedsschreiben heißt es:
     
    Ich will beweisen, wie es einem heute geht, wenn man seinem Inneren folgt, und zeigen, wie es sein müsste, wenn Christentum und Menschlichkeit echt wären. Einander richtig antworten, doch Wort und Tat in die Antwort sich selber hineingeben, mit Haut und Haar, mit Sex und Seele. Das ist mein Rezept.
     
    |176| Seine Tochter, die dies zum ersten Mal liest, ist erschüttert und belustigt zugleich: »Ein Selbstmord ›mit Sex und Seele‹ – Mein Vater hat schon immer das Talent gehabt, die Dinge so unpassend wie möglich auszudrücken. Genau genommen konnte er sich überhaupt nicht ausdrücken. ›Einander richtig antworten, doch Wort und Tat in die Antwort sich selber hineingeben …‹, einer seiner typischen Sätze. Eine Nullaussage.« 26
    Ganz anders die Tochter, ihre Sprache ist unmissverständlich: »Ich habe den mir peinlichen und mich peinigenden Vater loswerden wollen, indem ich ihn hasste. Aber Eltern wird man niemals los. Meine Bindung an diesen Vater anzuerkennen hat meinen Hass gemindert. Es war ein langer Weg.« 27
     
    Was ist von einem Vater zu halten, dessen zehnjährige Tochter während einer Wanderung auf einem Gletscher plötzlich in Richtung Abgrund abrutscht, im letzten Moment von einem anderen Wanderer gerettet wird, nachträglich vor Todesangst zittert und vom Vater zu hören bekommt: »War doch nichts, stell dich nicht so an!« Erst die erwachsene Tochter begreift, wie gleichgültig sie ihrem Vater gewesen war. Manfred Augst fand, das weibliche Geschlecht sei dem männlichen geistig unterlegen. Seine Tochter beschreibt, wie er seine Ehefrau ständig mit Vorwürfen überhäufte: Du kannst nichts. Du bist dumm. Du bist geschwätzig. Ihre Mutter nennt Ute Scheub dankbar »eine

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