Nachricht von dir
in der Spur rechts hinter sich erneut den eleganten schwarzen Ferrari.
Merkwürdig …
Er konzentrierte sich, um ganz sicher zu sein. Doch ein Irrtum war ausgeschlossen. Er wandte sich um. Diesmal blieb das Cabrio zwar stehen, doch die Sonne spiegelte sich in der Scheibe und blendete Jonathan, sodass er den Fahrer nicht erkennen konnte. Er wollte sich die Autonummer merken, aber zu seiner Verwunderung hatte der Spyder keine Nummernschilder!
Die Ampel sprang auf Grün, und das Hupen hinter ihm zwang ihn, über die Kreuzung zu fahren. Als er wieder in den Rückspiegel sah, war das mysteriöse Cabrio verschwunden …
Lagerhalle in Coney Island
Schritte …
Alice, die schließlich erschöpft eingeschlafen war, schreckte hoch und öffnete die Augen.
Wie spät mochte es sein? Wie lange war sie bewusstlos gewesen? Fünf Minuten oder fünf Stunden?
Sie zitterte vor Kälte. Ihre Beine waren eingeschlafen, und die Handschellen schnitten in ihre Gelenke. Sie wollte sich aufrappeln, gab aber den Versuch schnell auf. Sie war zu schwach, um zu kämpfen.
Die Tür öffnete sich quietschend, und Juris mächtige Gestalt erschien im Rahmen.
Er schrie wütend eine Beschimpfung, als er feststellte, dass sie das Klebeband durchgebissen hatte.
Er packte sie bei den Haaren. Sie flehte:
»Ich brauche Wasser! Und meine Medikamente! Ich werde sonst …«
»Schnauze!«
Er riss ihren Kopf so heftig nach hinten, dass er ein Büschel Haare ausriss. Sie begriff, dass es besser war, zu schweigen. Der Russe schien sich zu beruhigen. Er näherte sein Gesicht dem ihren, roch an ihrem Hals und strich mit seinen dicken Fingern über ihre Wange. Alice spürte seinen Atem und konnte ihren Ekel nicht unterdrücken. Sie wandte den Kopf ab. Und in diesem Augenblick entdeckte sie die Videokamera, die er in der Hand hielt.
Juris kompakter Schatten zeichnete sich im Licht der Neonlampe ab.
»Du bekommst Wasser«, versprach er, »aber zuerst wir beide werden einen kleinen Film drehen …«
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Kapitel 30
Die dunkle Seite des Mondes
Jeder ist ein Mond und hat eine dunkle Seite,
die er niemandem zeigt.
Mark Twain,
Dem Äquator nach
Lower East Side
8:15 Uhr morgens
Jonathan parkte den Smart im rechten Winkel zur Fahrbahn und lief die Bowery hinab bis zur 2nd Street. Nachdem die Lower East Side lange ein verrufener Stadtteil gewesen war, gehörte sie mit ihren kleinen Cafés und In-Restaurants jetzt zu den »hipster neighborhoods« . Jonathan öffnete die Tür des Peels , sein Lieblingslokal zum Brunchen. Es war ein gemütlicher Ort mit Charakter. Zwischen elf und dreizehn Uhr war es hier brechend voll, aber so früh am Morgen ging es eher ruhig zu.
Jonathan schaute sich suchend in dem sonnendurchfluteten Raum um. An einer langen Theke aus hellem Holz aßen die eher unkonventionellen und trendy Gäste ihre Bananen-Pancakes und tranken dazu Cappuccino.
Madeline war nirgends zu sehen. Sofort machte er sich Sorgen. Vielleicht bereute sie ihre gemeinsame Nacht? Vielleicht war sie aus einer Laune heraus abgereist? Vielleicht …
Sein Mobiltelefon vibrierte. »Ich bin oben«, lautete die SMS . Er hob den Kopf und sah, wie sie ihm über das Geländer gebeugt zuwinkte.
Beruhigt stieg er die Treppe hinauf und setzte sich zu ihr an den Tisch. Der Raum war angenehm: weiße Wände, heller Holzboden, große Fensterfronten, Designer-Lampen.
»Bist du schon lange hier?«
Er wagte es nicht, sie zu küssen, obwohl er es sich sehnlich wünschte. Sie trug Jeans und eine taillierte Lederjacke, in der er sie noch nicht gesehen hatte und die ihre schlanke Figur zur Geltung brachte.
»Ich bin gerade gekommen. Nett hier. Wo warst du?«
»Bei meiner Exfrau, ich erzähle es dir gleich«, erklärte er und nahm ihr gegenüber Platz.
Madeline gab sich ungezwungen. Trotzdem sah sie ihn so traurig an, als wäre dies das Ende ihrer Geschichte … Jonathan versuchte, ihre Hand zu ergreifen, doch sie entzog sie ihm sofort. Ihre Blicke trafen sich, das Schweigen dauerte an. Schließlich schob Madeline ihre Finger sanft in die seinen. Jetzt war es klar, dass sie mehr füreinander empfanden als nur ein flüchtiges Verlangen, selbst wenn ihre Beziehung noch nicht so weit gereift war, dass man sie als »Liebe« hätte bezeichnen können.
Ein Kellner im Hipster-Look – kleine runde Brille, kariertes Hemd, Moustache – näherte sich, um ihre Bestellung aufzunehmen. Jonathan studierte die Karte und entschied sich für einen
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