Nachrichten an Paul
plötzlich sogar ziemlich sicher. Und dann weiß ich es wieder. Klar – da war dieser Entendialog. Und Pauls letzte Worte waren: Da konnte man nix machen, die kam schon so. Und ich habe auf diese Facebook-Nachricht nicht geantwortet, weil ich ja nichts mehr mit Paul zu tun haben will, nicht wahr. Aber danach haben wir noch mal geskypt. Allerdings nur kurz. Das zählt jetzt vermutlich aber nicht als Antwort auf eine Nachricht bei Facebook, oder? Zumal es ja Paul war, der mich angeskypt hat. Also wer ist jetzt am Ball, er oder ich? Also ich doch vermutlich.
„Weißt du, dass dieser Hans-Dieter gestern nach Moskau geflogen ist?“, fragt Clara.
„Ehrlich?“, sage ich.
„Ja“, sagt Clara. „Und heute will er seine Russin heiraten.“
Da sieht man mal, dieser Hans-Dieter, kleine Nüsse, aber großen Mut.
„Tja“, sagt Clara und grinst. „Der ist jetzt weg vom Markt. Vielleicht solltest du doch noch mal eine Nachricht an Paul schicken.“
Ich nehme ein paar von Hans-Dieters Nüssen und will sie schon nach Clara werfen, aber da fällt mir doch zum Glück noch rechtzeitig ein, dass das ja meine Wohnung ist, die muss ich sauber machen. Ich lege die Nüsse wieder in die Schale.
„Feigling“, sagt Clara.
Ja, da hat sie recht. Ich bin ein Feigling. Denn wenn ich nicht so ein Feigling wäre, dann würde ich mich doch von ein paar Jahren Altersunterschied und ein paar tausend Kilometern nicht entmutigen lassen, nicht wahr, während Leute wie Hans-Dieter sogar nach Moskau fliegen, um fremde Russinnen zu heiraten.
*
Am nächsten Morgen machen wir uns ein Frühstück wie zu Studenten-WG-Zeiten und dann gehts aber an die Arbeit. Endlich ist es warm geworden und wir nehmen beide unsere Laptops und setzen uns nach draußen, an den schönen Kacheltisch, unter das große Segeltuch, das langsam Löcher bekommt und wohl demnächst mal erneuert werden müsste.
„Also an die Arbeit“, sagt Clara.
„Gut, los“, sage ich.
Und um noch ein bisschen Zeit herauszuschinden, und auch einfach aus Interesse, liest jede ihren letzten Satz vor.
Clara liest: Linda schloss die Tür hinter Daniel. Sie wusste: Sie würde ihn nie wiedersehen. Daniel war für immer aus ihrem Leben gegangen und würde nie erfahren, was sie wirklich für ihn empfand.
Ich lese: Schließen Sie das Gerät nur an ein ordnungsgemäß geerdetes Stromnetz an. Steckdose und Verlängerungskabel müssen einen funktionsfähigen Schutzleiter besitzen.
„Na, das sind doch klare Worte“, sagt Clara.
„Vielleicht sollten wir alle einen funktionsfähigen Schutzleiter besitzen“, sage ich.
Und dann legen wir aber wirklich los. Clara taucht ab in ihre Welt der Gefühle und ich tauche ab in die Welt der Leisehäcksler.
Dona Ermelinda ist übrigens stolz auf mich. Und da hat sie auch allen Grund zu. Ich hab´s nämlich endlich getan. Ich habe endlich und endlich die Asche ins Meer gestreut. Ich habe meinen ganzen Mut zusammengenommen und mich ins Auto gesetzt. Ich habe die neue CD von Rosanne Cash eingelegt und bin ans Meer gefahren. Nach Aveiro. Über die Autobahn. Die A 25 führt ja direkt ins Meer, sozusagen. Hab die Ria überquert und bin nach Barra gefahren. Rosanne Cash singt: take these chains from my heart ...
Das ist jetzt meine dritte Trauer-CD. Die erste war eine von Leonard Cohen, I´m your man . Die habe ich gehört und gehört, bis ich nicht mehr konnte und das Auto an den Straßenrand fahren musste zum Heulen. Dann manchmal als Abwechslung Bob Dylan. Die ganzen alten Sachen. Knocking on Heaven´s Door... Lay lady lay ... Forever young . Und dann wieder Leonard Cohen. Everybody knows you`ve been faithful ah give or take a night or two . So war´s bei uns auch. Dreißig Jahre sind ja eine lange Zeit, da kann schon mal was passieren, was eigentlich nicht passieren sollte, nicht wahr, und da tut mir auch nichts leid.
Ich bin nach Barra gefahren und habe mich ins Café O Farol gesetzt. O Farol, das heißt der Leuchtturm. Und als ich schon sitze und bestellt habe, da fällt mir ein: Das ist das Café, wo Jan seinen letzten Kaffee getrunken hat. Das war unser letzter Ausflug. Danach hat er sich mit einer Erkältung ins Bett gelegt. Aus der Erkältung ist eine Lungenentzündung geworden. Und drei Wochen später war er tot. Ich wäre am liebsten wieder aufgestanden, ich bin vielleicht nur sitzengeblieben, weil ich überhaupt nicht wusste, wohin. Wenn man dreißig Jahre alles zusammengemacht hat, ist jeder Schritt alleine mühsam. Als ob man
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