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Nachrichten an Paul

Nachrichten an Paul

Titel: Nachrichten an Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Heinold
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wieder neu laufen lernen muss. Laufen ohne Stütze. Und mir wird klar: Ich will gar keinen anderen Mann. Ich will diesen einen wiederhaben, denn der ist es immer gewesen, und den will ich zurück, und zwar sofort.
    Der Mann vom Café bringt mir meinen dunklen Galão und mein Pastel de Nata . Ich versuche, nicht zu heulen. Ich will keinen Hans-Dieter, und es liegt nicht an seiner Art oder seinen Walnüssen. Ich will auch Paul nicht, und es ist nicht wegen dem Altersunterschied, einem Altersunterschied, der womöglich eine Art kosmischer Ausgleich sein soll, denn was Jan älter war, ist Paul jünger. Und Miguel Moreira kann so perfekt sein, wie er will – er ist es einfach nicht.
    Ich will schlicht und einfach meine alte Liebe zurück. Plötzlich stürzen die ganzen Erinnerungen auf mich ein, es ist fast so, als ob die Zeit sich auflösen würde, als ob alle Zeiten parallel existieren und ich kann uns sehen, damals an der Uni in Hamburg im Chemiesaal zusammen mit zweihundertachtzig anderen Studenten und wir verstehen im Grunde kein Wort und die Ausführungen an der Tafel sagen uns auch nichts. Und ich sehe uns mit diesem alten Opel Record nach Norwegen fahren, zwanzig Liter Sprit auf hundert Kilometer plus drei Liter Öl. Richtig schnell im Anzug, wir haben das Auto die Rakete genannt. Die Rakete war das einzige Auto, das uns je gestohlen wurde. Eigentlich waren wir ganz froh, die alte Schleuder los zu sein. Aber nach zwei Tagen wurde das Auto von der Polizei gefunden. Haben die Diebe einfach auf einem Parkplatz abgestellt. Kein Wunder bei dem Spritverbrauch. Hätten wir am liebsten auch gemacht, aber uns hätten sie die Rakete ja immer wieder zurückgebracht. Wie jung wir waren. So voller Pläne. Und einiges haben wir ja auch gemacht zum Glück und da bin ich natürlich dankbar für. Wie heißt es immer? Man bereut eher das, was man nicht getan hat, als das, was man getan hat. Ja, da ist viel dran. Und ich würde sogar viel dafür geben, nochmal mit Jan auf der Este zu kentern und dann im Schlamm stundenlang nass und verfroren das verlorene Gepäck zu suchen.
    Irgendwann bin ich aufgestanden und habe mich ins Auto gesetzt. Ich habe den Deckel von der Urne abgemacht und eine Runde zu I´m your man geheult. Da war ein zweiter Deckel drunter, ich habe ihn mit meinem Schweizer Messer aufgedröselt und die ganze Asche in eine Plastiktüte gekippt. Ganz schön viel Asche. Ganz schön schwer. Und damit bin ich an den Strand gegangen. Gar nicht so einfach ans Meer zu kommen. Und dann die ganzen Leute, überall Leute und das Gefühl: Die beobachten mich alle. Ich bin die ganze Mole bis zum Ende gelaufen und habe gesehen: Wenn ich da versuche, die Asche ins Meer zu streuen, dann liege ich womöglich gleich selber mit drin. Im besten Fall ohne gebrochenes Bein, im schlimmsten Fall mit. Ich bin die Mole wieder zurück. Ich habe mich vorne auf die Felsen gesetzt.
    Da war ein Brautpaar am Strand. Mit Fotograf. Ich habe auf dem Felsen gesessen und die Szene beobachtet. Die Frau musste sich auf den Boden setzen und das Brautkleid ausbreiten und der Mann hat sich daneben gesetzt, auf den Stoff vom Brautkleid, wegen Sand und nass. Dann mussten sie wieder stehen und eine Flasche Sekt schütteln und fotografiert wurde in dem Moment, wo der Sekt so richtig schön spritzte. Die beiden sahen glücklich aus, ein bisschen erschöpft, aber glücklich. Ich dachte: Sie stehen am Anfang ihrer Ehe und ich sitze hier mit der Asche in der Plastiktüte am Ende meiner Ehe. Anfang und Ende. Das ist der Kreislauf. Ich habe überlegt, ob ich die Asche einfach zwischen die Felsen schütte und dann holt sie das Meer irgendwann. Aber dann dachte ich nein, diesen Wunsch möchte ich richtig erfüllen, er wollte ins Meer gestreut werden, ich werde die Asche ins Meer streuen.
    Ich gehe wieder an den Strand, auf die andere Seite der Mole und da sehe ich die perfekte Stelle: Hier an dieser Ecke kann ich direkt bis ans Wasser. Ich hocke mich hin. Ich öffne die Tüte. Die Asche ist gesprenkelt und grobkörnig, so ganz anders als die Asche aus dem Holzofen in meinem Atelier. Ich gebe mir einen Ruck und kippe alles ins Meer. Plötzlich entsteht ein riesiger schwarzer Fleck im Wasser. Das ist die Asche, sie färbt das Wasser tiefschwarz. Mir bleibt vor Schreck fast das Herz stehen. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich sage: Mach´s gut Jan. Ich mache ein Foto, damit ich eine Erinnerung habe, und fahre nach Hause. Rosanne Cash singt: take these chains from my heart

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