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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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kräftig ein, um wieder abzutauchen. Oder denken Sie an Köln: Großartig, wie sich langsam die Domspitzen aus den Fluten heben. Mit Jacques Rougerie, dem Vater der SeaOrbiter, müsste sich über so etwas reden lassen. Doch die Antwort überrascht:
    »Nein, ich glaube nicht, dass es im Meer solche Städte geben wird. Es wird kleine menschliche Gemeinschaften geben, die sich zu einer ganz spezifischen Aufgabe im Meer zusammenfinden. Man kann also sagen, dass diese kleinen menschlichen Gemeinschaften nicht mehr als 300 Personen umfassen werden ... Man wird für diese Aufgaben immer nur für eine begrenzte Zeit im Meer verweilen. Städte auf dem Meer: Ja. Im Meer: Nein.«
    Mon Dieu! Hadal City, ein Schlag ins Wasser? Sind Leben und Meer nicht untrennbar miteinander verbunden? Sind wir nicht Kinder Lurchis, der davon träumt, eines Tages zurückzukehren in sein dunkles Universum?
    Gegenfrage: Warum sollte er?
    Lurchi würde ein Element zurückerobern wollen, für das er längst nicht mehr gemacht ist. Man kann einwenden, die Evolution habe auch Saurier und Urwale wieder ins Meer geschickt. Richtig, aber Kreaturen wie Ambolucetus und Ichthysosaurus konnten sich nicht aussuchen, was sie wurden. Doch selbst, wenn sie es gekonnt hätten — erzählen Sie mal einem Ambolucetus, er sei ein Zwischenstadium. Zwischenstadium wovon, würde er fragen, bevor er Sie aus purer Verärgerung auffrisst. Ist nicht jedes Lebewesen immer das Endprodukt seiner Entwicklungslinie, so wie es die Cyanobakterie, der Trilobit, der Dunkleosteus und das frühe Rüsselschwein zu ihrer Zeit auch waren? Homo habilis dürfte sich ebenso wenig als Übergangslösung verstanden haben wie Homo neanderthalensis. Mit der Keule hätte man Ihnen den Darwinismus aus dem Leib geprügelt. Vielleicht hätte man aber auch gar nicht verstanden, was Sie meinen. Denn in einem waren sich Neandertaler und Bakterie gleich: Als hundertprozentige Geschöpfe von Miss Evolution waren sie unendlich weit davon entfernt, ihr zu widersprechen.
    Auch Homo sapiens sapiens ist letztlich Spielball der Evolution — mit einem Unterschied: Sein hoch entwickeltes Bewusstsein gestattet ihm, die Dame auszutricksen und selbst zu entscheiden, wohin die Reise geht. Beispielsweise müssen wir Lebensweise und Aussehen nicht ändern, um eine Weile unter Wasser zuzubringen, weil wir über etwas verfügen, das Ambolucetus nicht hatte:
    Technologie.
    Sie befähigt uns, Taucheranzüge und Druckluftflaschen zu entwickeln. Ohne Kiemen ausbilden zu müssen, können wir abtauchen.
    Keinem Menschen sind je Flügel gewachsen, dennoch legen wir große Distanzen auf dem Luftweg zurück. In beiden Fällen — unter Wasser wie an Bord von Flugzeugen — fühlen wir uns nicht wirklich zu Hause. Sicher, ein Tauchgang macht Spaß, fliegen kann faszinieren, auch der Aufenthalt im luftleeren Raum stellt eine Herausforderung dar, nach der Astronauten süchtig werden. Doch irgendwann wollen alle wieder auf festen Boden, Bäume sehen und frische Luft atmen.
    Der Urwal, die Meeressaurier, Spinnen, Tausendfüßler und Libellen, frühe Säuger und späte Affen, sämtlich mangelte es ihnen an der Fähigkeit, ihre jeweilige Lebensweise in Frage zu stellen. Wie auch? Zu keiner Zeit konnten sie etwas anderes sein, als was sie gerade waren. Wir hingegen können alles sein, Fisch oder Vogel, je nachdem, wonach uns gerade ist. Dafür müssen wir uns nicht in zeitraubenden Prozessen Federkleider zulegen oder gegabelte Schwanzflossen, auf Hände verzichten oder unseren Stoffwechsel umstellen. Unsere Art, uns anzupassen, folgt den Regeln der Technolution. Unsere Flossen und Flügel sind bionische Prothesen. Nicht aus Zellgewebe gemacht, sondern aus Kohlefaser, Stahl und Silizium.
    Möglicherweise ist es das, was uns von allen Lebewesen des Planeten am meisten unterscheidet: Wir haben das Entweder-oder mit dem Sowohl-als-auch vertauscht. Ein Flugzeug ist eine Flugprothese, ein U-Boot eine Tauchprothese, und für schlechte Augen gibt es scharfe Brillen. Unser neuer Metabolismus ist der Mikrochip, unsere Schwanzflosse der Propeller, unser Federkleid das Düsentriebwerk. Wir selber können bleiben, was wir sind. Solange uns äußere Umstände nicht zwingen, für immer ins Wasser zu gehen, werden wir uns dem Meer nicht körperlich anpassen, sondern mittels Kuttern, Netzen, Tauchanzügen, U-Booten, Unterwasserhabitaten und unbemannten Sonden jenen Nutzen aus ihm ziehen, dem Basilosaurus noch die Beine opfern musste.
    Unsere Anpassung

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