Nachrichten aus Mittelerde
Abwägung bin ich zu dieser Entschließung gekommen, und ich habe dabei alle Gründe, die ihr voll Klugheit ins Feld führt, wohl erwogen. Jetzt, und nicht später, ist der geeignetste Zeitpunkt, meinen Willen öffentlich bekannt zu machen, und zwar aus Gründen, die ihr hier freilich nicht angeführt habt, die aber alle dennoch ahnen müssen. Lasst denn diese Verfügung unverzüglich bekannt geben. Wenn ihr aber wollt, soll sie nicht eher wirksam werden, bis die Zeit des
Erukyerme
im Frühling kommt. Bis dahin will ich das Szepter behalten.«
Als die Nachricht von der Verkündung des Erlasses nach Emerië gelangte, war Erendis erschrocken, denn sie entdeckte darin einen Tadel des Königs, auf dessen Wohlwollen sie vertraut hatte. Darin irrte sie nicht; dass sich jedoch etwas von größerer Bedeutung dahinter verbergen könnte, begriff sie nicht. Balddarauf kam eine Botschaft von Tar-Meneldur, die eigentlich ein Befehl war, wenn er auch in huldvolle Worte gekleidet war. Sie wurde gebeten, nach Armenelos zu kommen und Frau Ancalime mitzubringen und sich dort zumindest bis zum
Erukyerme
und der Ausrufung des neuen Königs aufzuhalten.
»Er schlägt schnell zu«, dachte sie. »Ich hätte es vorhersehen sollen. Er will mir alles wegnehmen. Doch mir selbst soll er nicht befehlen, auch wenn es durch den Mund seines Vaters geschieht.«
Deshalb schrieb sie Tar-Meneldur zurück: »König und Vater, meine Tochter Ancalime muss wirklich kommen, wenn du es befiehlst. Ich bitte dich, ihr Alter zu berücksichtigen und dafür Sorge zu tragen, dass sie ein ruhiges Quartier erhält. Was mich betrifft, bitte ich dich, mich zu entschuldigen. Ich erfahre, dass mein Haus in Armenelos zerstört worden ist; und ich möchte zu dieser Zeit nicht gern ein Gast sein, zuallerletzt auf einem Hausschiff unter Seeleuten. Erlaube mir denn also, in meiner Abgeschiedenheit zu verbleiben, es sei denn, es wäre des Königs Wille, auch dieses Haus zurückzunehmen.«
Tar-Meneldur las diesen Brief mit Besorgnis, doch verfehlte er sein Ziel in seinem Herzen. Er zeigte ihn Aldarion, an den er in erster Linie gerichtet zu sein schien. Darauf las dieser den Brief. Der König, der das Gesicht seines Sohnes aufmerksam beobachtete, sagte: »Du bist gewiss betrübt. Doch worauf sonst hast du gehofft?«
»Zumindest nicht auf dies«, sagte Aldarion. »Es ist weit weniger als das, was ich von ihr erwartet habe. Sie ist gesunken, und falls ich dies bewirkt habe, dann ist meine Schuld schändlich. Doch werden die Großen im Unglück kleiner? Dies war nicht der rechte Weg, nicht einmal aus Hass oder Rache! Sie hätte verlangen sollen, dass ein großes Haus für sie hergerichtet werde, nach einer Eskorte für die Königin rufen und nach Armenelos zurückkommen sollen, geschmückt mit ihrer Schönheit,königlich, mit dem Stern auf ihrer Stirn; dann hätte sie beinahe ganz Númenor auf ihre Seite gezaubert und mich als einen Verrückten und Flegel erscheinen lassen. Die Valar mögen meine Zeugen sein, dass ich es lieber so gehabt hätte: lieber eine schöne Königin, die gegen mich arbeitet und mich verspottet, als die Freiheit, zu regieren, während Frau Elestirne trübe in ihr eigenes Zwielicht hinabfällt.«
Dann gab er mit einem bitteren Lachen dem König den Brief zurück. »Nun gut: Es ist, wie es ist«, sagte er. »Doch wenn der eine Abscheu davor empfindet, zwischen Seeleuten auf einem Schiff zu wohnen, mag ein anderer entschuldigt sein, der einen Bauernhof mit Schafen und Dienstmädchen nicht leiden kann. Aber ich will nicht, dass meine Tochter so erzogen wird. Zumindest soll sie wählen, wenn sie genügend Erfahrung hat.« Er erhob sich und bat, sich entfernen zu dürfen.
Der weitere Verlauf der Erzählung
Von diesem Punkt an, als Aldarion den Brief von Erendis las, in dem sie sich weigerte, nach Armenelos zurückzukehren, kann die Geschichte nur in den kurzen Eindrücken und Bruchstücken weiterverfolgt werden, die Bemerkungen und Notizen vermitteln: Und selbst diese machen nicht einmal die Fragmente einer gänzlich zusammenhängenden Geschichte aus, da sie zu verschiedenen Zeiten verfasst sind und oft im Widerspruch zueinander stehen.
Es scheint, dass Aldarion, als er im Jahr 883 König von Númenor wurde, beschloss, Mittelerde umgehend wieder aufzusuchen, und entweder im selben oder im nächsten Jahr abfuhr. Es wird berichtet, dass er keinen Zweig des
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an den Bug setzte, sondern das Bild eines Adlers mit goldenem Schnabel und
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