Nachrichten aus Mittelerde
[Tar-Aldarion] hinterließ nur ein Kind, eine Tochter. Sie wurde die erste [Regierende] Königin; denn damals wurde ein Gesetz des Königshauses erlassen, dass das älteste Kind des Königs, ob Mann oder Frau, das Szepter empfangen sollte.«
Jedoch an anderer Stelle wird das neue Gesetz anders formuliert als oben. In dem ausführlichsten und klarsten Bericht wird als Erstes festgestellt, dass das »alte Gesetz«, wie es später genannt wurde, faktisch kein númenórisches »Gesetz« war, sondern ein ererbter Brauch, den die Umstände noch nicht fraglich hatten werden lassen; und diesem Brauch entsprechend erbte der älteste Sohn des Regierenden das Szepter. Gab es keinen Sohn, wurde das Gesetz so verstanden, dass der nächste Verwandte aus der männlichen Linie von Elros Tar-Minyatur der Erbe war. Demzufolge wäre, hätte Tar-Meneldur keinen Sohn gehabt, der Erbe nicht sein Neffe Valandil (Sohn seiner Schwester Silmarien) gewesen, sondern sein Vetter Manlantur (Enkelsohn von Tar-Elendils jüngerem Bruder Earendur). Dochnach dem »neuen Gesetz« erbte die (älteste) Tochter des Herrschers das Szepter, falls er keinen Sohn hatte (dies steht natürlich im Gegensatz zu dem, was im
Herrn der Ringe
gesagt wird). Auf Vorschlag des Rates wurde hinzugefügt, dass es frei stünde, das Szepter abzulehnen. 26 In einem solchen Fall war, entsprechend dem »neuen Gesetz«, sein nächster männlicher Verwandter der Erbe des Herrschers, gleichgültig ob aus der männlichen oder der weiblichen Linie. Hätte also Ancalime das Szepter abgelehnt, wäre Soronto Tar-Aldarions Erbe gewesen, der Sohn seiner Schwester Ailinel; und wenn Ancalime das Szepter abgegeben hätte oder kinderlos gestorben wäre, wäre Soronto gleichermaßen der Erbe gewesen.
Auf Ersuchen des Rates wurde gleichfalls bestimmt, dass ein weiblicher Erbe abdanken musste, wenn er eine gewisse Zeit unverheiratet blieb; und diesen Vorkehrungen fügte Tar-Aldarion hinzu, dass der Königserbe nur innerhalb der Linie von Elros heiraten durfte, andernfalls er für die Erbschaft nicht in Frage kommen sollte. Man sagt, dass diese Bestimmung eine direkte Schlussfolgerung Aldarions aus seiner unglücklichen Ehe mit Erendis war; denn sie stammte nicht aus der Linie von Elros, hatte demnach eine kurze Lebenserwartung, und er glaubte, dass darin die Wurzel aller ihrer Schwierigkeiten zu suchen sei.
Ohne Frage wurden diese Vorkehrungen des »neuen Gesetzes« in allen Einzelheiten festgehalten, weil sie mit der späteren Geschichte des Reiches und seiner Könige in engem Zusammenhang stehen; doch unglücklicherweise kann heute wenig darüber gesagt werden.
Zu einem späteren Zeitpunkt widerrief Aldarion das Gesetz, wonach eine Herrscherin heiraten oder abdanken musste (dies war sicherlich auf Ancalimes Widerwillen zurückzuführen, beide Möglichkeiten zuzulassen); doch die Heirat des Erben mit einem anderen Mitglied der Linie von Elros blieb später immer Brauch. 27
Auf alle Fälle begannen bald Bewerber um Ancalimes Hand zu erscheinen, und dies nicht nur, weil ihre Stellung sich verändert hatte, sondern auch, weil der Ruf ihrer Schönheit, Zurückhaltung, ihres Hochmuts und ihrer sonderbaren Erziehung im ganzen Land bekannt war. Um diese Zeit begannen die Leute von ihr als Emerwen Aranel, der Prinzessin Hirtin zu sprechen. Um sich den Zudringlichkeiten zu entziehen, suchte Ancalime mit der Hilfe der alten Zamîn ein Versteck auf einem Bauernhof an den Grenzen des Landes Hallatans von Hyarastorni auf, wo sie einige Zeit das Leben einer Hirtinführte. Die Aufzeichnungen (die in Wirklichkeit nicht mehr als hastige Notizen sind) darüber, wie ihre Eltern auf diesen Stand der Dinge reagierten, sind unterschiedlich. Einem Bericht zufolge wusste Erendis, wo Ancalime sich aufhielt, und billigte den Grund ihrer Flucht, während Aldarion den Rat daran hinderte, nach ihr zu suchen, weil es ihm gefiel, dass seine Tochter so selbständig handelte. Jedoch einem anderen Bericht zufolge war Erendis über Ancalimes Flucht beunruhigt und der König zornig; und zu dieser Zeit versuchte Erendis sich mit ihm auszusöhnen, wenigstens was Ancalime betraf. Doch Aldarion blieb ungerührt und erklärte, dass der König keine Gattin habe, wohl aber eine Tochter und Erbin; und dass er nicht glaube, dass Erendis das Versteck ihrer Tochter nicht kenne.
Sicher ist, dass Ancalime zufällig einen Hirten traf, der in derselben Gegend Schafe hütete; ihr gegenüber nannte sich dieser Mann Mámandil. An eine
Weitere Kostenlose Bücher