Nachrichten aus Mittelerde
hätte. Wir kamen zu spät, konnten nur noch die Bahre mit dem Leichnam des alten Fürsten Hador vom Schlachtfeld tragen, der gefallen war, als er König Fingolfin schützte. Dann wurde ich Soldat und diente viele Jahre in Eithel Sirion, der großen Festung der Elbenkönige. So kommt es mir jedenfalls heute vor, und die dunklen Jahre, die darauf folgten, haben nichts Bemerkenswertes. Ich war in Eithel Sirion, als der Schwarze König es bestürmte und Galdor, dein Großvater, dort Hauptmann in des Königs Diensten war. In jenem Gefecht wurde er erschlagen, und ich sah deinen Vater seine Nachfolge antreten und die Befehlsgewalt übernehmen, obgleich er noch ein sehr junger Mann war. Ein Feuer brenne inihm, sagte man, von dem das Schwert in seiner Hand erglühe. In seinem Gefolge trieben wir die Orks in die Sandwüste, und seit jenen Tagen haben sie es nicht gewagt, sich in Sichtweite der Mauern blicken zu lassen. Doch genug davon! Meine Kampfeslust war gestillt, denn ich hatte genug vergossenes Blut und Wunden gesehen. Ich erhielt die Erlaubnis, in die Wälder zurückzukehren, nach denen ich mich sehnte. Dort trug ich meine Verwundung davon, denn ein Mann, der vor seiner eigenen Furcht flieht, wird feststellen, dass er nur den Weg abgekürzt hat, der erneut zu ihr führt.«
So sprach Sador zu Túrin, als dieser älter wurde und viele Fragen zu stellen begann, deren Beantwortung Sador schwerfiel; außerdem fand er, dass andere, die Túrin verwandtschaftlich näher standen, diese Aufgabe übernehmen sollten. Eines Tages sagte Túrin zu ihm: »War Lalaith wirklich einem Elbenkind ähnlich, wie mein Vater sagte? Und was meinte er, als er sagte, sie lebe nicht so lange wie eine Elbe?«
»Sie war den Elbenkindern sehr ähnlich«, sagte Sador, »denn in ihrer ersten Jugend scheinen die Kinder von Elben und Menschen eng miteinander verwandt zu sein. Doch die Kinder der Menschen wachsen schneller, ihre Jugend geht bald vorbei, das ist ihr Schicksal.«
Darauf fragte ihn Túrin: »Was bedeutet Schicksal?«
»Was das Schicksal der Menschen angeht«, erwiderte Sador, »musst du jene fragen, die klüger sind als Labadal. Doch wie jedermann sehen kann, welken wir bald und sterben, und durch einen unglücklichen Zufall ereilt manche der Tod sogar früher. Doch die Elben welken nicht und sie sterben nicht, außer durch schwere Wunden. Von Verwundungen und Schmerzen, denen Menschen zum Opfer fallen, können sie geheilt werden. Sogar wenn ihre Körper zugrunde gegangen sind, können sie eines Tages zurückkehren. Mit uns ist es nicht so.«
»Dann wird Lalaith nicht zurückkehren?«, fragte Túrin. »Wohin ist sie gegangen?«
»Sie wird nicht zurückkehren«, sagte Sador, »aber wohin sie gegangen ist, weiß niemand, zumindest ich weiß es nicht.«
»Ist das immer so gewesen? Oder müssen wir einen Fluch des verruchten Königs erdulden so wie den Verfluchten Wind?«
»Ich weiß es nicht. Hinter uns liegt eine Finsternis, aus der nur wenige Geschichten überliefert sind. Die Väter unserer Väter hätten vieles erzählen können, doch sie haben es nicht getan. Zwischen uns und dem Leben, aus dem sie kamen, stehen Berge, und niemand weiß heute, wovor die Vorväter geflohen sind.«
»Haben sie sich gefürchtet?«, fragte Túrin.
»Es kann sein«, antwortete Sador. »Vielleicht sind wir vor der furchteinflößenden Finsternis geflohen, nur um ihr hier gegenüberzustehen, wo uns nur noch die Flucht zum Meer bleibt.«
»Wir fürchten uns nicht mehr«, sagte Túrin, »jedenfalls nicht alle. Mein Vater hat keine Furcht, und auch ich nicht, zumindest werde ich mich so verhalten wie meine Mutter und meine Furcht nicht zeigen.«
Als Túrin dies sagte, kam es Sador vor, als seien Túrin Augen nicht die Augen eines Kindes, und er dachte: Für einen unbeugsamen Geist ist Kummer nur ein Wetzstein, an dem er sich härtet. Aber laut sagte er: »Sohn Húrins und Morwens, wie es um dein Herz bestellt sein wird, kann Labadal nicht sagen, doch du wirst nur selten und nur wenigen offenbaren, was in ihm vorgeht.«
Darauf entgegnete Túrin: »Vielleicht ist es besser, nicht auszusprechen, was man sich wünscht, wenn man es nicht erreichen kann. Aber ich wünschte, Labadal, ich wäre einer der Eldar. Dann könnte Lalaith zurückkehren, und ich wäre noch immer hier, selbst wenn sie lange fort wäre. Sobald ich kann,werde ich als Soldat zu einem Elbenkönig gehen, wie du es getan hast, Labadal.«
»Du könntest viel von ihnen lernen«, sagte Sador
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