Nachruf auf eine Rose
darauf sagen? Wie konnte sie antworten, ohne ihre Herkunft zu verraten und sich wie ein affektierter Upper-Class-Snob anzuhören? Sie rang sich zu einer kleinen Notlüge durch.
«Wir hatten in der Schule mal solche Projekttage. Sie wissen schon: Wie unterscheide ich einen Massivholztisch von einem Furniermöbel. Man hat uns gesagt, auf was wir achten müssen, so zum Beispiel auf diesen warmen Ziegelton, auf die Fenster, die Neigung des Daches, all diese Details.»
«Hm.» Cooper fuhr einen Bogen und parkte den Wagen direkt vor dem Haus.
Neben der Eingangstür befand sich ein alter Klingelzug. Cooper zog forsch an dem Draht und Nightingale zuckte zusammen. Muriel Kemp erkannte den Sergeant auf den ersten Blick. Sie erbleichte.
«Mrs Kemp?»
«Ja.» Fahrig fuhr sie sich mit der Hand über den Mund.
Wovor hatte die Frau solche Angst?, fragte sich Nightingale und betrachtete sie eingehend.
«Ich bin Detective Sergeant Cooper von der Polizei Harlden. Dürfen wir hereinkommen?» Er hielt ihr seinen Dienstausweis hin, doch sie beachtete ihn nicht.
«Ja, ich erinnere mich, doch was wollen Sie? Ist etwas mit Jeremy? Ich meine … Ja, sicher, kommen Sie doch bitte herein.»
Sie ist vor Angst wie erstarrt, dachte Nightingale.
«Danke. Das ist Detective Constable Nightingale, und soweit ich weiß, ist mit Mr Kemp alles in Ordnung. Wir sind gekommen, um mit Ihnen zu sprechen.»
Sie blinzelte, und als sie die Tür hinter ihnen zudrückte, zuckte ihre Hand nervös.
«Ich wüsste nicht, wie ich Ihnen weiterhelfen könnte … Sergeant. Wollen Sie nicht lieber mit meinem Mann sprechen?»
«Nein, wir möchten mit Ihnen sprechen.»
Wieder waren es ihre Hände, die ihre Nervosität verrieten, als sie die beiden Besucher ins Wohnzimmer führte. Der Raum war nicht geheizt, was in Nightingale beinahe nostalgische Gefühle wachrief.
«Was also wünschen Sie, Sergeant?»
«Wie Sie wissen, untersuchen wir den plötzlichen Tod von Graham Wainwright.»
Mit monotoner Stimme führte Cooper aus, warum sie gekommen waren. Doch Nightingale erkannte bald, dass sie so nicht weiterkämen, denn während er sprach, schien Mrs Kemp ihre Haltung wiederzugewinnen und sich innerlich zu wappnen. Wenn sie erst einmal so weit wäre, sich zu wehren, dann hätten sie ihre liebe Not, ihren Panzer zu knacken. Sie kannte diesen Typ Frau. Nur zu gut erinnerte sie sich an endlose Schulferien und an die Frühstücksrunden ihrer Mutter.
Mrs Kemp war eine nette und freundliche, höchstwahrscheinlich auch großzügige Dame. Doch sie war ein Snob. Sie hatte sich an einen Lebensstandard gewöhnt und war in diesem Haus gelandet, das wahrscheinlich ihre kühnsten Träume überstiegen hatte. Und sicher plagten sie massive Zweifel: ob sie ein derartiges Glück überhaupt verdient hatte, ob sie den Erwartungen gerecht wurde und ob sie den richtigen Stil hatte. Sogar ihre Stimme hatte einen unsicheren, vagen Klang, ihr Akzent war eine Mischung aus perfekt akzentuiertem Mittelenglisch und einer Sprechweise, die sie für vornehm zu halten schien. Sicher, auf eine Art war das traurig, doch erkannte Nightingale es als Schwäche, die ihnen dienlich sein könnte. Alles, was sie dazu tun müsste, wäre, in ihrer Schulsprache zu sprechen, die entsetzlich, ja beängstigend korrekt war.
«Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche, Mrs Kemp, aber ich habe ganz furchtbare Kopfschmerzen. Vielleicht dürften wir Sie um etwas Tee bitten. Würde Ihnen das sehr ungelegen kommen?»
Sowohl Sergeant Cooper als auch Mrs Kemp starrten Nightingale mit offenem Mund an. Nightingale setzte ein, wie sie hoffte, tapferes kleines Lächeln auf. Mrs Kemp reagierte prompt und verließ den Raum, um Tee zu bereiten.
«Vertrauen Sie mir, Sir», sagte Nightingale in gewohntem Ton, «mit meiner Methode werden wir mehr Erfolg bei ihr haben.»
Cooper zögerte kurz und überlegte einen Moment, ob dieses junge Ding ihn vielleicht auf den Arm nehmen wollte, doch er konnte keinen Hinweis darauf entdecken. Er nickte.
«Gut, dann überlasse ich das Ihnen. Aber es sollte funktionieren.»
Sie lächelte und blinzelte ihm zu.
Nach einigen Minuten kehrte Mrs Kemp mit einem Tablett zurück, auf dem ein silbernes Teeservice und zarte Porzellantassen arrangiert waren. Es gab Milch und Zitrone und leckeres Shortbread, das so aussah, als würde es im Munde zergehen. Nightingale unterdrückte ein Lächeln, als sie sah, dass neben dem Zuckerdöschen auch ein kleiner Porzellanbehälter mit Honig stand. Ach ja,
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