Nachruf auf eine Rose
bezahlt , das ich gespart hatte . Also gehört das Haus ihr und unseren Kindern . Für den Fall , dass mir etwas zustoßen sollte , hinterlege ich dieses Band bei einer guten Freundin . Sie wird dafür sorgen , dass es in die richtigen Hände gelangt . Wer auch immer dieses Band abhört : Ich versichere Ihnen , dass ich niemals einem Menschen Schaden zugefügt habe , und wenn ich gewisse Dinge einfach nicht zur Kenntnis genommen habe , dann habe ich das nur für meine Frau getan . Bitte erzählen Sie ihr nichts davon , sagen Sie ihr , dass ich sie liebe und immer geliebt habe .»
Das Band stoppte, und ein Moment der Stille senkte sich über den Raum. Der Mann war kein eloquenter Redner, doch seine Worte zeugten von Menschlichkeit und Aufrichtigkeit. Einen Augenblick lang wusste keiner so recht, was er sagen sollte, und das einzige Geräusch war das Scharren ihrer Füße, bis Sergeant Gould das Schweigen brach.
«Wenn wir das Band freigeben dürfen, werde ich dafür sorgen, dass seine Frau eine bearbeitete Kopie davon bekommt.»
Eine Stunde später war Nightingale wieder zurück in der Einsatzzentrale und starrte auf eine Kopie von Sally Wainwright-Smiths Heirats- und Geburtsurkunde. Es war bereits zehn Uhr und sie hatte Mühe, ihre Müdigkeit zu unterdrücken. Sie hatte sich vorgenommen, etwas über Sallys Kindheit in Erfahrung zu bringen, und war überzeugt gewesen, dass sie in ein paar Stunden damit fertig wäre. Stattdessen hatte sie ganze vierundzwanzig Stunden darauf verschwendet, und alles, was dabei herausgekommen war, waren zwei Blatt Papier. Was aber noch schlimmer war: Sie ergaben keinen Sinn. Aus der Heiratsurkunde ging hervor, dass Sally, siebenundzwanzig Jahre, Mädchenname Price, in einem kleinen Ort in der Umgebung von Harlden namens Potter’s Field auf die Welt gekommen war. Doch die Geburtsurkunde, die Nightingale von St. Katherine’s House erhalten hatte, nachdem sie Hunderte von im gleichen Jahr und Monat geborenen Sallys überprüft hatte, lautete auf Sally Bates, die exakt am gleichen Tag und am gleichen Ort geboren wurde. Irgendetwas stimmte da nicht.
Sie machte sich auf den Weg zum Kaffeeautomaten im Erdgeschoss und wartete geduldig hinter George Wicklow, dem wachhabenden Sergeant.
«Was machen Sie denn so spät noch hier?», erkundigte er sich freundlich.
«Hab noch so viel zu tun, Sarge. Bin dabei, Hintergrundmaterial über eine Verdächtige zu suchen, und lande immer wieder in einer Sackgasse.»
«Von hier oder von außerhalb?»
«Ach, von hier, aber das hilft mir auch nicht weiter.»
«Lassen Sie mich mal den Namen hören, vielleicht kenne ich sie.» George war seit über fünfundzwanzig Jahren bei der Truppe und war niemals versetzt worden.
«Es geht um Sally Wainwright-Smith, die Frau des Alleinerben von Alan Wainwrights Vermögen. Nach der Heiratsurkunde ist sie vor siebenundzwanzig Jahren in Potter’s Field auf die Welt gekommen. Und jetzt habe ich die Wahl zwischen zwei Mädchennamen.»
Als George Wicklow den Namen des Ortes hörte, schwieg er nachdenklich, doch Nightingale bemerkte es nicht.
«Entweder hieß sie Sally Price oder Sally …»
«Bates», sagte er dumpf.
«Ja! Woher wissen Sie das? Sie sind ja ein Gedächtniswunder, Sir!»
Doch George Wicklow nahm das Kompliment nicht wahr. Er kippte seinen süßen Tee in den Ausguss, als sei ihm der Geschmack plötzlich zuwider.
«Setzen wir uns doch.» Er führte sie zu einem Tisch außer Hörweite der Theke und bedeutete Nightingale, auf einem der unbequemen Holzstühle Platz zu nehmen.
«Also haben Sie mit Sally Bates zu tun. Mein Gott. Sie ist also schon Mitte zwanzig, natürlich! Als ich sie das letzte Mal sah, war sie ein Mädchen von acht Jahren. Es überrascht mich nicht, dass sie ihren Namen geändert hat. Sie ist also wieder hier, da gehört schon was dazu.»
«Warum? Was hat sie getan?»
«Nicht sie, ihre Eltern. Sie erinnern sich doch sicher an den Fall mit den Bates-Kindern? Das war seinerzeit in allen Zeitungen, auch den überregionalen. Eine ganz schlimme Geschichte.»
«Nein, aber wenn sie damals acht war, dann war das vor neunzehn Jahren. Zu der Zeit habe ich noch nicht Zeitung gelesen.»
«Eileen und Frank Bates hatten drei Kinder: der kleine Billy war knapp zwei, Sarah ein halbes Jahr und Sally acht. Nur, dass niemand wusste, dass es drei Kinder waren. Die Nachbarn glaubten, es gäbe nur das eine – Sally. Sie besuchte die Schule und ging in die Kirche wie andere Kinder auch. Auch die
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