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Nachruf auf eine Rose

Titel: Nachruf auf eine Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Fenwick
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Eltern gingen regelmäßig zum Gottesdienst, ziemlich strenggläubig, hatten nicht viel Geld, doch alles in allem eine ganz normale Familie, sagten die Nachbarn.
    Später stellte sich dann heraus, dass sie alles andere als knapp bei Kasse waren. Meine Güte, wenn die gewusst hätten …»
    Mit einer schwerfälligen Geste wischte George sich ein paar Schweißperlen von der Stirn, und Nightingale musste an sich halten, ihn nicht besorgt anzusehen. «Na ja, sie lebten ziemlich abseits in diesem großen alten Haus am Rande des Dorfes, am Ende eines landwirtschaftlichen Weges, der sich bei Regen in ein wahres Schlammloch verwandelte. Irgendwann sah man Eileen Bates nicht mehr. Frank machte alle Einkäufe, und Sally ging die drei Kilometer zu Fuß zur Schule, bei jedem Wetter.
    Was uns dann darauf gebracht hat, uns einmal näher mit der Familie zu beschäftigen, war etwas ziemlich Banales: Sally wurde beschuldigt, in der Schule Sachen gestohlen zu haben, und es kam heraus, dass über Monate hinweg immer wieder etwas verschwunden war: Taschengeld, Handschuhe, mal ein Schal, aber hauptsächlich Lebensmittel. Die Rektorin bat Frank Bates zu einem Gespräch in die Schule. Sie machte sich Sorgen um Sally, doch Bates wollte davon nichts hören. Sagte, er würde sich Sally vorknöpfen. Die Rektorin hat daraufhin das Jugendamt angerufen, und die haben der Familie dann einen Besuch abgestattet, zu einer Tageszeit, als Frank bei der Arbeit war – er war Mechaniker, hat alle möglichen Arbeiten auf den umliegenden Gehöften erledigt. Eileen Bates wollte die beiden Sozialarbeiter erst nicht reinlassen. Gerade, als sie gehen wollten, hörten sie einen kläglichen Laut, wie von einer Katze oder einem kleinen Tier, doch zu dem Zeitpunkt dachten sich die beiden noch nichts dabei. Ein paar Mal sind sie noch hingefahren und haben ihr Bestes versucht, doch irgendwann haben sie’s dann aufgegeben. Das war später übrigens einer der Hauptkritikpunkte in der Untersuchung.
    Sallys Verhalten besserte sich auch nicht. Sie war eigentlich ziemlich clever, doch irgendwann ließen ihre schulischen Leistungen nach, sie kam nicht mehr mit, wurde immer dünner. Als wir sie schließlich befragten, war sie nur noch Haut und Knochen, starrte uns aus riesigen Augen an, hatte ganz wunde Lippen und hat sich gebärdet wie ein wildes Tier …»
    Gebannt vor Entsetzen lauschte Nightingale und versuchte, die gewandte und kultivierte Frau eines mehrfachen Millionärs mit dem Bild eines mageren achtjährigen Mädchens, das Essen und Taschengeld klaut, in Einklang zu bringen.
    «Es wurde immer schlimmer mit ihr. Die Rektorin wandte sich noch einmal ans Jugendamt, und gemeinsam beratschlagten sie, was zu tun sei. Nachdem Eileen Bates ihnen erneut den Zugang zum Haus verwehrt hatte, wurden wir gerufen. Die Rektorin hatte die Eltern eines Schülers, den Sally bestohlen hatte, überzeugen können, dass es nur zu Sallys Bestem wäre, wenn sie Anzeige erstatteten.
    Mitte Februar sind wir dann zum Haus der Familie Bates gefahren. Die Bude war eiskalt – die Heizung war aus –, sie hatten keine Teppichböden, und die Möbel sahen aus wie vom Sperrmüll. Frank und Eileen Bates waren zu Hause, ebenso Sally. Während wir mit Frank Bates redeten, hat sie auch nicht einen Muckser gemacht, auch die Mutter hat nicht ein einziges Mal den Mund aufgemacht. Frank hat für alle gesprochen. Wir haben uns umgesehen, doch nichts schien irgendwie auffällig oder verdächtig. Als Sally am nächsten Tag zur Schule kam, waren ihre Arme und Beine mit blauen Flecken übersät. Sie sei die Treppe runtergefallen, behauptete sie. Am Tag darauf kam sie dann mit einem blauen Auge an. Also sind wir erneut rausgefahren, zusammen mit den Leuten vom Jugendamt. Zufällig hatte ich an dem Tag gerade einen Schokoriegel und ein paar belegte Brote dabei. Die Sachen steckten in meiner Tasche, in einer fettdichten Tüte. Ich kam gerade in die Küche, wo Sally mit ihren Eltern war, und da merkte ich, dass Sally das Essen durch die Tüte gerochen hatte.
    Sie sah mich durchdringend an, starrte die ganze Zeit auf meine Jackentasche. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so gierig, so ausgehungert ausgesehen hat. Wie sie mich so anstarrte, wurde mir ganz anders zumute, aber dann kam mir ein Gedanke. Während mein Kollege die Eltern befragte, nahm ich meine Jacke und ging hinaus. Der ganze Garten bestand eigentlich nur aus Matsch und einer Wäscheleine. Wie erwartet, lief Sally hinter mir her wie eine Hyäne,

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