Nachruf auf eine Rose
Öffnen schlug die Sicherheitskette rasselnd gegen die Tür.
«Du bist es!», sagte sie nur, als ihr Überraschungsgast die Diele betrat und sie die schwere Tür zudrückte.
Nebenan ging das Licht aus.
19B 13
Arthur fror unter seinem Mantel, als er auf dem Bahnsteig stand und auf seinen Zug nach Hause wartete. Wie immer, wenn er bei Amanda gewesen war, fühlte er sich schuldig, doch heute kam noch ein beklemmendes Angstgefühl dazu. Er blickte sich um. Außer einem Liebespaar war niemand auf dem Bahnsteig. Das Lichtsignal schaltete auf Grün, und langsam fuhr der Zug in den Bahnhof ein, seine Bremsen kreischten unheimlich. Kurz bevor die Lokomotive wieder anfuhr, eilte ein junger Mann in Markenturnschuhen und einem teuren Sportanzug die Treppe hinunter und drückte den Türgriff nach unten. Er überhörte den ärgerlichen Ruf des Schaffners, sprang in den Zug, wobei er beinahe über die Füße einer älteren Frau gestolpert wäre. Sie warf ihm einen wütenden Blick zu, doch er grinste nur und ging dann davon, in Richtung Lok.
Weiter vorne saß Arthur in der Ecke eines leeren Abteils. Jedesmal, wenn er wieder heimkehrte zu seiner todkranken Frau, fühlte er sich elend und unwürdig, doch heute litt er regelrecht unter Depressionen. Immer wieder bedeckte er sein Gesicht mit den Händen und rieb sich die Augen. Sein Leben war ein einziger Scherbenhaufen, seine Arbeit, sein Zuhause und nicht zuletzt sein Geschlechtsleben. Auf allen Gebieten hatte er versagt. Wo er doch stets sein Bestes gegeben hatte!
Damals, Anfang der siebziger Jahre, war alles großartig gelaufen. Obwohl er kein ausgebildeter Buchhalter war, hatte er sich vom einfachen Büroangestellten zu dem emporgearbeitet, was er jetzt war. Er hatte sich alles selbst beigebracht. Deshalb hatte er zunächst auch gezögert, jemandem von den Unstimmigkeiten, die er in den Büchern entdeckt hatte, zu berichten. Doch schließlich waren es so große Summen, dass er das Problem einfach nicht mehr ignorieren konnte. So hatte er mehr als nur einmal seinen Mut zusammengenommen, war zu seinem Vorgesetzten gegangen und hatte ihm von seiner Entdeckung erzählt. Doch dieser brüllte ihn jedesmal nur an, und so verbreitete sich das Gerücht, dass Arthur Fish unfähig sei, keine Ahnung von Buchhaltung habe und kurz vor der Entlassung stünde. Er hatte gerade erst geheiratet, stand unter dem Druck einer enormen monatlichen Belastung, und zudem war seine Frau noch schwanger. Arthur war dem Scheitern nahe.
Dann, eines Nachmittags, wurde er für den nächsten Tag zum Chefbuchhalter bestellt. Sogar heute träumte er manchmal noch von dieser furchtbaren Nacht, als die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, ihm den Schlaf geraubt hatte. Als er am darauf folgenden Morgen erschöpft und mit einem flauen Gefühl im Magen seine Entlassung erwartete, geschah zu seiner Überraschung gar nichts, weder an jenem Tag noch am darauf folgenden. Stattdessen wurde er für seinen Einsatz gelobt, der jedoch in dieser Form nicht angebracht wäre. Wainwright’s sei ein gesundes und Gewinn bringendes Unternehmen, die Geschäfte liefen auf ihre eigene Weise, und wenn er klug wäre und sich anpassen würde, so würde ihm dies nur zum Vorteil gereichen. Am Monatsende hatte er in seiner Gehaltsabrechnung fünfzig Pfund mehr entdeckt, was damals ein kleines Vermögen war. Er hatte es stillschweigend akzeptiert. Als er weitere Unregelmäßigkeiten in der Buchführung entdeckte und feststellte, dass diese häufiger vorkamen und die Summen, um die es ging, immer größer wurden, verschloss er die Augen vor dem, was er sah, stellte weiter Schecks aus und schrieb Zahlungsanweisungen, um die Rechnungen der Firma zu bezahlen.
Arthur kauerte sich noch tiefer in seine Ecke und ließ sich von den Bewegungen des Zuges mittragen. Rückblickend erkannte er, dass diese ersten Monate, als er, in der Hoffnung, seinen Arbeitsplatz zu behalten, hin und wieder ein Auge zugedrückt hatte, den Beginn seiner Laufbahn als Verbrecher markierten. Wann war ihm das erste Mal bewusst geworden, dass das, was er tat, kriminell war? Damals jedenfalls noch nicht. Auch als er nach dem Herzanfall seines Vorgesetzten überraschend befördert wurde, war ihm noch kein Licht aufgegangen.
Nun war er Chefbuchhalter von Wainwright Enterprises, einem großen Unternehmen, das in vielen Bereichen tätig war und viele tausend Arbeiter und Angestellte beschäftigte. Die ursprüngliche Firma war nurmehr ein winziges Relikt in einem riesigen
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