Nachruf auf eine Rose
die Namen ihrer Kunden verraten? Würde er jetzt auffliegen? Doch nein, der Wagen parkte auf der linken Seite, direkt an der Kurve gegenüber der neuen Häuserreihe. Er schlug den Mantelkragen hoch und eilte an dem zuckenden Licht vorbei.
Amanda sah die erleuchteten Fenster der Häuserfront gegenüber und erwartete förmlich, dass jeden Augenblick jemand an ihre Haustür klopfen würde. Sie hatte hart dafür gearbeitet, um sich in einem anständigen Haus einen festen Wohnsitz einzurichten. Dass dieses Haus die Grenze zu einem weniger vornehmen Viertel bildete, ließ ihre Errungenschaft in ihren Augen nur noch wertvoller erscheinen. Nur gut hundert Meter lagen zwischen ihr und dem Blaulicht, das vor einem heruntergekommenen Apartmenthaus blinkte, das für sie nunmehr der Vergangenheit angehörte. Amanda war jetzt fünfundvierzig – was angesichts der Tatsache, dass sie es geschafft hatte, von der Straße wegzukommen, noch relativ jung war. Und dass sie es geschafft hatte, verdankte sie drei Dingen: ihrem eisernen Willen, harter Arbeit und einem rein gefühlsmäßigen Verständnis für die menschliche Natur. Wäre sie in einem anderen Gewerbe tätig, wäre ihre Großmutter stolz auf sie gewesen!
Sie beobachtete die blauen Lichtreflexe in den Bäumen. Heute Abend dürfte es schwierig werden. Als Nächstes war Arthur Fish an der Reihe, der einzige ihrer früheren Kunden, der immer noch zu ihr kam. Alle anderen hatte sie im Laufe der letzten Jahre aus den Augen verloren. Früher hatte sie ihre Freier auf der Straße abgeschleppt, dann kam die Zeit im Gefängnis, und hier war sie nun, in ihrem eigenen Haus. Fünf Jahre, sieben Monate und zwei Wochen war es jetzt her, dass sie das Gefängnis hinter sich gelassen hatte und damit eine Erfahrung, die sie nur noch mehr bestärkt hatte in ihrem Bestreben, sich um jeden Preis aus diesem Sumpf emporzuarbeiten. Sie hatte es geschafft, und das Einzige, was sie mit ihrer Vergangenheit verband, waren ihre gelegentlichen Alpträume und Arthur. Nun waren es ihre neuen Stammkunden, die ihre Hypothek und die Beiträge für ihre Kranken- und Rentenversicherung bezahlten.
Warum kam eigentlich Arthur immer noch zu ihr? Er war der Einzige, der sie in treuer Regelmäßigkeit aufsuchte. Im Laufe der Zeit hatte sie eine Art Zuneigung zu ihm entwickelt, oder zumindest beinahe. Er hatte es auch nicht gerade leicht gehabt im Leben. Seine Bedürfnisse waren so schlicht, dass es beinahe zum Lachen war. Er hatte ihr niemals wehgetan, und er war der einzige ihrer Kunden, der sie seinerzeit im Krankenhaus besucht hatte, nachdem man sie zusammengeschlagen hatte. Trotz des geringen Altersunterschieds zwischen ihnen – er war erst fünfzig – war er für sie die einzige Vaterfigur, die sie je im Leben gehabt hatte, denn ihr eigener Vater hatte nur in der schöngefärbten Gedankenwelt ihrer Mutter existiert.
Während sie über Arthur nachdachte, warf sie einen Blick auf die Uhr und merkte, dass es Zeit war, die Vorbereitungen zu treffen. Mit ihm benutzte sie immer das hintere Zimmer im Erdgeschoss, der einzige Raum im Haus, der einen offenen Kamin besaß, denn sie wusste, dass Arthur ein gemütliches Feuer sehr zu schätzen wusste. Jedesmal, wenn er kam, trat er an den Kamin, stellte sich mit dem Rücken zum Feuer und seufzte wohlig.
Sie ging zu dem großen Sofa gegenüber und breitete ein weiches babyblaues Frottierlaken darüber. Direkt vor dem Kamin stand eine ausladende altmodische Badewanne, daneben eine Dose Puder, Flanellwindeln und Babyöl. Die Rute würde sie erst später aus dem Schrank holen. Das mit der Wanne war eigentlich nicht nötig, zumal Arthur ihr einmal gestanden hatte, dass dies nicht Teil der Erinnerungen war, die er heraufbeschwor, um in Stimmung zu kommen. Doch zurzeit war er vor lauter Sorgen so blockiert, dass sie mit allen verfügbaren Mitteln arbeiten musste, dass er überhaupt fertig wurde bis zum Ende der Stunde. Denn für mehr bezahlte er schließlich nicht. Sie zog ihre Uniform an, die Bänder der gestärkten Schürze waren so steif, dass sie ihr in den Nacken schnitten. Er würde sicher wieder früher kommen. Und so war es auch.
Eine Stunde später ließ sie sich ein schönes heißes Bad ein, tat ein paar Tropfen Lavendelöl ins Wasser und lehnte sich entspannt zurück. Bis zu ihrem letzten Termin waren es noch gut zwei Stunden. Diese Pausen gehörten zu dem Luxus, den sie sich jetzt leisten konnte. Während sie sich der wohligen Wirkung des duftenden, heißen
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