Nachruf auf eine Rose
haben. Er ist tot.»
Er war auf eine hysterische Reaktion gefasst, erwartete einen Tränenausbruch, einen Schrei des Entsetzens, doch Jenny war wie versteinert.
«Tot, sagen Sie.» Ihre Stimme klang ruhig, beinahe sachlich. «Dann müssen wir ihn suchen.»
«Colin, Jeremy und ich werden gehen. Sie bleiben bei Sally.»
«Nein! Ich muss zu ihm. Er würde das wollen. Ich komme mit.»
«Jenny …»
«Lass gut sein, Alex, sie hat Recht. Ich werde auch mitkommen.» Sally bedeutete dem Butler, ihnen die Mäntel zu bringen, und ging ins Haus, um sich andere Schuhe anzuziehen. Ihre besonnene Reaktion verwirrte Alexander mehr als alle anderen Ereignisse an diesem furchtbaren Abend.
Noch immer hielt er Jenny umfasst, wollte sie an sich drücken, sie trösten, ihr irgendwie helfen, doch sie blieb starr und reagierte nicht. Jeremy Kemp und Colin, die durch den Schreck wieder nüchtern geworden waren, warteten stumm vor dem Eingangsportal und blickten besorgt in den immer dichter werdenden Nebel. Nach einigen Minuten kehrte der Butler mit ihren Mänteln und ein paar Taschenlampen wieder, dicht gefolgt von Sally.
«Soll ich die Polizei rufen, Sir?», fragte er respektvoll, doch seine Stimme verriet, dass seine Arbeitgeber sich seiner Ansicht nach nicht richtig verhielten. Noch bevor Alexander antworten konnte, kam Sally ihm zuvor.
«Das wäre wohl etwas voreilig, Jarvis! So wie wir den guten Graham kennen, dürfte er eher stockbesoffen sein.»
Einen Augenblick lang sahen alle sie entsetzt an. Alexander fühlte, wie Jenny bei den groben Worten seiner Frau erzitterte, und versuchte die Situation zu retten.
«Mrs Wainwright-Smith hat einen Schock erlitten. Sie ist völlig durcheinander. Natürlich müssen Sie die Polizei verständigen. Daran hätte ich selbst denken sollen. Danke, Jarvis.»
Der Butler nickte nur. Ihm konnte man so schnell nichts vormachen, doch er war zu professionell, als dass er sich seine Zweifel hätte anmerken lassen. Alexander sah, dass Sally ihre Worte zutiefst bereute, doch sie konnte sie nicht mehr zurücknehmen. Entschuldige dich wenigstens, beschwor er sie in Gedanken, doch sie schwieg und ging stattdessen vor den anderen zur Tür hinaus.
Lucys und Ryans Beschreibung, wo sie die Leiche gefunden hatten, war äußerst vage. Alexander führte die anderen zu dem Ort, wo er auf die beiden gestoßen war.
«Von dort habe ich sie kommen sehen», erklärte er und deutete in den dichten Nebel. «Sie sagten mir, sie hätten ihn unter einem Baum gefunden. Dort hinten liegt ein Wäldchen, und linker Hand, glaube ich, stehen ein paar Eichen und Buchen.»
«Rechts von hier steht noch diese alte Buche», warf Sally ein.
«Ach ja, richtig. Also wir sind zu fünft. Ich schlage vor, wir teilen uns in zwei Gruppen auf und treffen uns wieder in dem Wäldchen. Wenn einer von uns etwas findet, soll er rufen, und wir gehen dann der Stimme nach.»
«Ich kann genauso gut alleine gehen, mein Guter. Dann hätten wir drei Gruppen und wären schneller. Ich kenne diese Gegend wie meine Westentasche.»
«Gut, Colin. Dann …»
«Ich möchte bei Ihnen bleiben, Alexander.»
«Natürlich, Jenny. Also dann bilden Jeremy und Sally eine Gruppe …»
«Wir machen uns auf zur alten Buche.»
«Einverstanden, dann gehen wir ganz hinten zu den Eichen, und du, Colin, schaust dich im dahinter liegenden Wäldchen um.»
Sie trennten sich, und die gelben Lichtkegel ihrer Taschenlampen verloren sich in dem perlgrau schimmernden Nebel. Kemp blieb dicht hinter Sally, die sicher ausschritt. Ihr forsches Tempo hatte eine einschüchternde Wirkung auf ihn, und so gingen sie schweigend hintereinander her, bis Sally abrupt stehen blieb und ihre Nase in die Luft streckte, als nähme sie Witterung auf.
«Was ist los?»
«Der Fluss, ich kann das Wasser riechen. Wir müssen ganz nah dran sein, wir sind etwas zu weit südlich. Hier entlang.» Mit geröteten Wangen und klarem Blick machte Sally sich wieder auf den Weg, ohne sich noch einmal zu ihm umzudrehen.
Im zuckenden Schein der Taschenlampe glitten Büsche und Schilfgräser wie verzerrte Schatten an ihnen vorüber. Eine Koppel erstreckte sich bis hinüber zum Flussufer. Gleich darauf hörten sie ein leichtes Plätschern. Für einen kurzen Moment rissen die Nebelschwaden auf und gaben den Blick auf den Fluss frei.
«Direkt hinter dieser Baumgruppe steht die alte Wetterbuche. Wir werden sie gleich sehen.» Und tatsächlich tauchten jetzt die ausladenden Äste eines uralten Baumriesen vor
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