Nachruf auf eine Rose
würde niemals Selbstmord begehen. Er liebte das Leben, und außerdem wäre er dafür viel zu feige. Es muss eine Verwechslung sein.»
Ein Licht näherte sich aus dem Dunkel; es kam aus der Richtung, in der das Haus liegen musste. Dann ein zweites. Kurz darauf tauchten zwei Polizisten aus dem Nebel auf. In dem Augenblick trat Colin vom Fluss kommend auf die kleine Gruppe zu. Er bemerkte die uniformierten Beamten und wartete darauf, dass einer von ihnen zu sprechen begann.
«Mr Wainwright-Smith?»
«Ja, das bin ich.»
«Hier soll eine Leiche gefunden worden sein?»
«Ja, mein Cousin, Graham Wainwright.»
«Nein, das stimmt nicht! Das kann er nicht sein. Er würde sich niemals selbst töten!», schluchzte Jenny.
Der Polizeibeamte sah in die Runde. «Funk die Zentrale an, Bill, und gib grünes Licht. Sie sollen mit dem Arzt eine Beamtin rüberschicken.» Er wandte sich an Alexander. «Wenn Sie uns bitte zu dem Toten bringen würden, Sir …»
Alexander zögerte und warf einen raschen Blick auf Jenny. Dann nickte er. Kemp ging voraus, den schmalen Flusspfad entlang. Der Nebel am Ufer war von dem auffrischenden Wind vertrieben worden, und bald sahen sie die riesenhafte Buche vor sich auftauchen.
«Er ist dort, am Baum.»
«Haben Sie die Leiche gefunden, Sir?»
«Ja, zusammen mit Mrs Wainwright-Smith. Jeremy Kemp ist mein Name, ich bin der Anwalt der Familie Wainwright.»
Langsam gingen sie um den Stamm herum. Kemp zögerte einen Moment. Er fürchtete den Anblick, der sich ihnen gleich bieten würde.
«Er ist weg!», rief er ungläubig. «Der Tote ist weg. Dort hing er, an diesem Ast.»
«Hier rüber.» Von der anderen Seite der Wetterbuche drang Colins Stimme zu ihnen.
Er hockte neben Sally und hatte seine Arme um ihre Schultern gelegt. Sie schluchzte leise. Einige Meter weiter hinten lag die Leiche auf dem Boden, den Strick immer noch um den Hals geschnürt. Die plötzliche Nähe zu einem toten Menschen und die weinende Frau neben ihm machten ihn nervös, und stotternd vor Aufregung setzte er zu einer Erklärung an.
«Ich habe sie weinen hören … Wie konnten Sie sie nur allein lassen, Kemp!»
Unbeweglich vor Staunen starrte der Rechtsanwalt auf die Leiche und fragte sich, wie Sally es geschafft haben mochte, sie vom Baum zu holen. Doch wie er sie in ihrer Verzweiflung schluchzen hörte, schwieg er. Das wäre kaum der passende Zeitpunkt, um darauf hinzuweisen, dass sie, die Ruhe selbst, ihn mit dem Auftrag, die anderen zu holen, weggeschickt hatte. Wenn man sie jetzt so sah, konnte man das einfach nicht glauben.
Gerade als Alex zu Sally gehen wollte, riss Jenny sich los und rannte hinüber zu Grahams Leiche. Sie sank mit den Knien in die dunkle Erde. Ein Blick auf sein entstelltes Gesicht genügte, um augenblicklich zu erkennen, dass er tot war. Ein entsetzlicher Aufschrei drang aus ihrer Kehle, und sie begann sich hin und her zu wiegen.
Constable Parks machte einen Versuch, die Situation unter Kontrolle zu bringen.
«Bitte kommen Sie alle hier herüber, weg von der Leiche.» Sein Kollege machte Anstalten, Jenny wegzubringen, doch sie wehrte sich wie eine Raubkatze, hieb und trat auf ihn ein. Schließlich gelang es ihm, sie von Graham wegzuziehen und fortzutragen. Jeremy Kemp und Colin hielten sie fest, und allmählich ebbte ihr Schluchzen zu einem leisen Wimmern ab.
Alexander legte seine Arme um Jenny und führte sie weg, so dass die fünf Personen nun eine Gruppe bildeten und die Polizisten endlich Gelegenheit hatten, den Tatort in Augenschein zu nehmen.
Parks trat zu ihnen, sein Notizbuch in der Hand.
«Ein paar Fragen, um das Wichtigste zu klären.» Er dachte daran, dass die Leiche vom Baum geholt worden war. Er dachte an die unzähligen Fußabdrücke und an die Spuren des Gerangels, als sein Kollege versucht hatte, Jenny von der Leiche wegzuführen. Er würde ernsthaft Ärger bekommen.
«Wer hat nun eigentlich die Leiche gefunden?»
«Meine Tochter Lucy», antwortete Colin. «Sie ist bei meiner Frau im Haus.»
«War sie allein?»
«Nein, Ryan war bei ihr. Das ist ihr Freund. Als sie zum Haus zurückkamen, haben wir uns zusammengetan, um das Gelände abzusuchen.»
«Statt auf die Polizei zu warten?» Parks dachte an die Verwüstung, die sie am Tatort angerichtet hatten.
«Wir dachten, er sei vielleicht noch am Leben.»
«Also waren Lucy und Ryan sich nicht ganz sicher?»
«Doch», sagte Alexander. «Sie waren sich sicher, aber wir – insbesondere Sally – glaubten, er sei vielleicht
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