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Nachruf auf eine Rose

Titel: Nachruf auf eine Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Fenwick
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ihnen aus dem Nebel auf. Sally hob die Taschenlampe und leuchtete in die riesige Baumkrone hinein.
    «Such doch lieber den Boden ab», drängte Kemp, «sonst übersehen wir ihn noch, Sally.»
    Doch Sally schien ihn nicht gehört zu haben. Langsam glitt der Strahl der Taschenlampe durch das dichte Geäst der alten Buche.
    «Was war das?» Kemps Stimme klang heiser vor Furcht. «Dort, auf der anderen Seite.»
    Sally richtete den Lichtkegel weiter nach oben und ging langsam um den ausladenden Stamm herum.
    «Oh, mein Gott!» Kemp rannte an ihr vorbei, stolperte über Wurzeln und glitt auf dem feuchten Laub aus.
    «Mein Gott! Oh, mein Gott!»
    Sally trat schweigend neben ihn und beleuchtete die weiße Gestalt, die leblos über dem Boden baumelte. Es gab keinen Zweifel: Der Mann war tot. Blutunterlaufene Augen traten aus ihren Höhlen, und aus dem weit geöffneten Mund hing eine schwarze, geschwollene Zunge. Der Strick, der an einigen Stellen blutbefleckt war, hatte sich tief in seinen Hals eingegraben. Bis auf einen dünnen Ledertanga war er nackt.
    «Wir müssen die anderen rufen.»
    «Wir können das doch nicht Jenny zeigen! Sie darf das auf keinen Fall sehen, Sally.»
    «Wir werden sie wohl kaum davon abhalten können. Sie wird ihn sehen wollen.»
    «Aber wir müssen sie davon abhalten. Das ist kein Anblick für eine Frau!» Abrupt verstummte er. Es war offensichtlich, dass Sally bedeutend gefasster war als er. Langsam drehte sie sich um und starrte den toten Körper wie gebannt an.
    Kemp fühlte das Blut in seinen Schläfen pochen. Der erste Schock wich einer zunehmenden Verwirrung. Wie war es möglich, dass jemand auf diesen Anblick so gelassen reagierte? Er wusste nicht, ob er beeindruckt sein oder misstrauisch werden sollte. Normalerweise konnte er seine Gefühle gut verbergen, doch Sally schien Gedanken lesen zu können.
    «Du hast Recht, Jeremy, wie immer», lenkte sie ein. «Nimm die Taschenlampe, und versuch Alex zu finden. Bevor die anderen uns finden.»
    «Kann ich dich denn hier allein lassen?»
    Sally warf noch einen Blick auf den Toten und nickte. «Ja. Geh nur.»
     
    Alexander entdeckte das unstete Licht einer Taschenlampe, das im Nebel auftauchte und immer näher kam. Jemand rannte auf ihn zu. Sein Magen zog sich krampfhaft zusammen, und er hielt Jenny fest am Arm.
    «Ist ja gut», sagte er sanft. «Ich bin ja da.»
    Da erkannten sie, dass es Kemp war, und warteten. Ein Blick in sein Gesicht genügte, um zu wissen, was er gefunden hatte. Sie standen sich gegenüber, und das Entsetzen in ihrem Schweigen war beinahe mit den Händen greifbar. Niemand wagte es, die alles bestätigende Frage zu stellen, deren Antwort ihrer aller Leben drastisch verändern würde.
    «Ist er tot?» Jennys Stimme war nur mehr ein Wispern.
    «Ja, Jenny, es gibt keinen Zweifel. Er ist tot.»
    Sie nickte und ließ sich schwer gegen Alexander sinken, der automatisch seinen Arm um sie legte.
    «Ist Sally bei Colin?»
    «Nein», entgegnete Kemp überrascht. «Sie ist bei der … bei Graham.»
    «Allein?», fragte Alexander aufgebracht.
    «Sie wollte das so, wirklich!»
    «Um Himmels willen, Sie wissen doch, dass es manchmal besser ist, nicht auf sie zu hören, um ihrer selbst willen!»
    «Aber … Sie beharrte regelrecht darauf. Und sie war ganz ruhig.»
    Alexander blickte zu Jenny hinunter, die sich an ihm festklammerte.
    «Schon gut. Am besten, Sie begleiten Jenny zurück zum Haus und warten dort auf die Polizei. Ich gehe zu Sally.»
    «Nein, ich will ihn sehen.»
    «Das ist keine gute Idee, Jenny. Bitte gehen Sie mit Jeremy zurück zum Haus.»
    «Nein, Alexander. Ich muss ihn sehen. Sonst werde ich mich immer fragen, wie … ob er sehr gelitten hat.»
    Kemp sah das verzerrte Gesicht vor sich, die hervortretenden Augen, das blutverschmierte Seil.
    «Das sollten Sie nicht tun, Jenny, bitte. Warten Sie, bis er …» Er wollte sagen «zurechtgemacht ist», doch er schluckte die Worte rechtzeitig hinunter. «Gehen Sie jetzt nicht zu ihm.»
    «Warum, was ist mit ihm passiert?» Ihre Stimme klang jetzt schrill, beinahe hysterisch. «Sagen Sie es mir.»
    «Sagen Sie es ihr», forderte Alexander ihn auf. «Manchmal ist es besser, die Wahrheit zu kennen.»
    «Es sieht so aus, als ob er sich umgebracht hat. Sich aufgehängt hat.»
    «Nein! Niemals! Warum hätte er das tun sollen? Sie irren sich!»
    «Es gibt keinen Zweifel. Er hing am Baum, als wir ihn fanden.»
    «Das kann nicht sein. Das ist nicht Graham! Das kann er gar nicht sein. Er

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