Nachspielzeit: Eine unvollendete Fußballkarriere (German Edition)
bleiben. Ich allerdings werde für immer sein Fan sein. Denn dann ging alles ganz schnell. Klinsmann drehte sich zu mir um und sagte: «Timo, mach dich warm.» Schnell noch meine lange Hose ausgezogen, und dann lief ich auch schon die Außenlinie rauf und runter.
Es war eine bizarre Situation. Die Arena war fast komplett abgedunkelt, die Scheinwerfer auf Kahn gerichtet, der immer noch seine Runde genoss, die Fans klatschend und jubelnd. Das ganze Stadion stand, es lief «Time to say goodbye», die Spieler bildeten schon ein Spalier, um den ehemaligen Welttorhüter ehrenvoll vom Platz zu geleiten. Es war eine ergreifende Atmosphäre. Nur nicht für mich. Ich kam mir zwar etwas verloren vor, war aber hoch konzentriert auf die Vorbereitung für meinen Einsatz. Voll fokussiert spulte ich meine gewohnten Übungen ab, mitten unter Dutzenden von Stromkabeln und Fernsehkameras, die sich herzlich wenig für mich interessierten. Wahrscheinlich waren in dem Moment meine damalige Freundin und mein Vater die einzigen beiden der 69000 Zuschauer, die auf mich schauten. Sie saßen unweit von mir entfernt, und ich konnte sie für einen kurzen Moment auf ihren Plätzen unter all den Leuten erkennen.
Nachdem Kahn das Feld endgültig verlassen hatte, war es so weit. Ich lief auf den Platz und war völlig geplättet von der Kulisse. Natürlich hatte ich als Zuschauer schon eine Menge Spiele hier verfolgt. Aber dort unten auf dem Platz zu stehen war unvergleichlich. Einen kurzen Augenblick lang richtete ich meine Augen nach oben in die Menge. Es fühlte sich an, als wäre ich von einer riesigen Wand umgeben. Eine Wand, die sich einmal ganz um mich herumzog und wahnsinnigen Lärm verbreitete. Dieses Szenario wirkte aber keinesfalls bedrohlich, und nach dem ersten «Schock» genoss ich es einfach nur. Nervös war ich natürlich trotzdem. Und zwar nicht zu knapp. Nachdem ich meinen ersten Ballkontakt mit einer ordentlichen Annahme über die Bühne gebracht hatte, verflog aber auch das weitestgehend. Am Ende bleibt Fußball eben Fußball. Elf gegen elf auf zwei Tore. Ob in einer riesigen Arena oder auf einem Dorfplatz in Hintertupfing.
Ich hatte sogar eine auffällige Aktion, als ich tief in der eigenen Hälfte angespielt wurde und mit dem Ball nach vorne lief. Ich suchte nach einer Passmöglichkeit, aber fand einfach keine Anspielstation. Also lief ich eben weiter, denn ich wurde nicht besonders hart angegriffen von meinen Gegnern der Nationalmannschaft. Noch weiter. Ich hob wieder den Kopf, immer noch keiner frei. Ich dachte mir, das kann doch gar nicht sein, aber so lange mich eben niemand ausreichend attackierte, dribbelte ich munter weiter. Irgendwann war ich nur noch rund fünfundzwanzig Meter vom Tor entfernt. Ich überlegte kurz zu schießen, spielte dann aber einen etwas ungenauen und überhasteten Pass auf Miroslav Klose, der ihn leider knapp verfehlte.
Die restliche Zeit passierte nicht mehr viel, ich war nur noch darauf bedacht, hinten nichts anbrennen zu lassen und mir ein direktes Duell mit meinem wieselflinken Gegenspieler Marko Marin möglichst zu ersparen. Das Spiel wurde frühzeitig abgepfiffen, und ich ging daraufhin durch die gegnerischen Reihen und gab den Herren Nationalspielern die Hand, wie man das eben so macht, bevor man den Platz verlässt. An einen Trikottausch dachte ich jedoch nicht, denn mein eigenes rotweißes Shirt mit der Nummer 13 wollte ich auf gar keinen Fall wieder hergeben. Auch wenn ich mir darin vorkam wie ein überdimensionaler Windsack, weil der Zeugwart mir allen Ernstes ein Dress in XL auf den Platz gelegt hatte.
Inmitten der Stars verlasse ich den Rasen der Allianz-Arena.
Insgesamt spielte ich ziemlich genau sieben Minuten, mehr nicht. Für mich aber waren es vielleicht die aufregendsten sieben Minuten in meinem bisherigen Leben. Es mag völlig bescheuert klingen, denn in dieser Zeit kann man noch nicht mal ein Ei komplett hartkochen. Aber genau diese sieben Minuten sah ich als eine Art großartige Entschädigung an für all die Dinge zuvor. Dadurch waren die gesamte Verletzungsmisere und ihre Folgen zwar nicht vollends vergessen, doch zumindest viel leichter zu akzeptieren. Wer hätte gedacht, dass ich noch mal eines Tages in der Allianz-Arena auflaufen würde, als ein Arzt mein Karriereende praktisch voraussagte?
Anschließend bedankte sich Olli Kahn in der Kabine bei mir für meine Teilnahme, wie bei jedem Spieler. Eigentlich hätte ich ihm danken müssen. Nach dem Spiel wollte ich
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