Nachsuche
sagte er, »kommt die Töss. Sie und das Bächlein von Fischenthal fließen zusammen und weiter das Tal hinunter.«
Sie schauten aus dem Fenster und hielten einander an den Händen. Je inniger der Händedruck wurde, desto mehr ließen Noldis Qualitäten als Reiseführer zu wünschen übrig. Er vergaß das Tal, rückte näher an Meret heran.
In Saland war es dann so weit. Sie verließen in wortlosem Einverständnis den Zug. Noldi führte seine Frau schnurstracks in den nächsten Wald. Dort wurde an diesem sonnigen Sonntag in Glück und Übermut ihr erstes Kind gezeugt. Die Tannennadeln stachen Meret ins wohlgerundete Hinterteil, bis Noldi sich jauchzend das Hemd vom Leib riss und ihr unterschob.
Nach der Taufe des kleinen Mark geht es zum Essen nach Hause. Meret ist der Meinung, dort sei es für die junge Mutter bequemer als im Restaurant.
Es ist ein fröhliches, unkompliziertes Fest. Alle reden und lachen durcheinander, alle wollen helfen, rennen ständig zwischen Küche und Esszimmer hin und her, wo sich um die zusammengestellten Tische achtzehn Personen drängen.
Der Ruhigste von allen ist Pauli. Er wirkt freundlich und höflich wie immer, lacht, wenn die anderen lachen, aber er sagt nicht viel. Lange steht er vor dem modernen Kinderwagen, den Verena abseits in den Erker gestellt hat, damit der Täufling Ruhe hat. Der Elfjährige beobachtet neugierig und nachdenklich das schlafende Kind. Doch dann beim Essen entwickelt er einen gesunden Appetit, nimmt zwei Mal vom Nachtisch und holt sich eine dritte Ladung aus der Küche.
Krank ist er also nicht, denkt Meret. Aber er hält sich von seinem Vater fern, ganz im Gegensatz zu sonst, wo er ständig an ihm hängt, vor allem wenn Gäste da sind.
Meret seufzt. Wie verschieden Kinder von den gleichen Eltern sein können, denkt sie.
Vreni, ihre Älteste, die sich jetzt nur mehr Verena nennt, war immer ein braves Kind.
Peter der Zweite, kränkelte in seinem ersten Lebensjahr. Er hatte Probleme mit der Verdauung, erbrach, sobald er getrunken hatte. So musste sie ihn alle zwei Stunden füttern, immer nur wenig, und er wurde nie satt. Deshalb schrie er dauernd. Sie päppelte ihn mit Liebe und eiserner Disziplin auf. Sobald Peter die ersten zwei Jahre überstanden hatte, entwickelte er sich zu einem robusten Wildfang, der kaum ohne Blessuren vom Spielen nach Hause kam. Aber er war absolut nicht wehleidig. Er weinte nur selten, als hätte er sein Pensum schon im Säuglingsalter erledigt. Meret fühlt sich diesem Sohn besonders verbunden, aber in ihrer Beziehung herrscht stets eine gewisse Vorsicht.
Fitzi war schon gleich nach der Geburt ein fertiges kleines Frauenzimmer, winzig, wunderhübsch und vollkommen. Sie bereitete ihren Eltern nie Probleme. Manchmal bedauert Meret diesen Umstand. Sie hatte so selten Gelegenheit, sich diesem Kind gegenüber mütterlich zu zeigen. Sie waren bereits Freundinnen, als Fitzi kaum drei war.
Pauli, der Nachzügler, war nicht geplant. Aber sie und Noldi freuten sich gerade deshalb umso mehr über ihn.
Er war ein pfiffiges Kerlchen und der Liebling der ganzen Familie. Er wurde von allen verwöhnt, nicht nur von den Eltern, sondern vor allem von seinen Geschwistern. Sie hatten die größte Freude, ihm allerhand Unfug beizubringen, und er lernte schnell.
Kein Wunder, dass er es nicht leicht hat, denkt Meret, während sie für die Gästeschar einen Espresso nach dem anderen aus der Maschine lässt. Einerseits ist er seinem Alter voraus und auf der anderen Seite mit elf noch ein rechtes Kind.
Rüdisühli verbringt kein so erfolgreiches Wochenende wie die Familie Oberholzer. Als er Freitagvormittag endlich zu Hause eintrifft, ist seine Frau nicht, wie er im Stillen gehofft hat, schon zurechtgemacht. Eigentlich hat er sie angerufen, damit sie dazu Zeit hätte. Aber es nützt nichts. Sie kommt ihm entgegen in einem ehemals weißen Unterhemd und Lockenwicklern im Haar. Statt Kaffee gibt es sofort Streit. Sie nennt ihn einen Idioten, weil er das Reh angefahren hat.
»Recht geschieht dir«, keift sie, »was lässt du mich dauernd allein.«
Und so geht es weiter. Er hört gar nicht mehr hin. Doch plötzlich, mitten in dem Geschrei, hält sie inne und sagt mit ganz nüchterner freundlicher Stimme: »Ich weiß, dass du mich nicht mehr liebst.«
Rüdisühli erschrickt, weniger wegen des Gesagten, das so nicht stimmt, als wegen des Tones, in dem sie es sagt. Eine weitere Scheidung, denkt er in momentaner Panik, könne er sich nicht leisten.
Er
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