Nachsuche
gedacht hat.
Zuerst geht er geradeaus ins Wohnzimmer. Der Raum ist groß und nur sparsam möbliert. Trotz des trüben Tages wirkt er lichtdurchflutet. Vor einem der Fenster welkt eine Topfpflanze, ist aber noch nicht verdorrt.
Von wegen, kein Platz für die Buddha-Sammlung, schießt es Noldi durch den Kopf. Dann fällt sein Blick auf das ausladende Sofa und davor Pantöffelchen mit irgendeinem rosa Flaum oben drauf, fein säuberlich nebeneinandergestellt.
Hoppla, sagt er zu sich, da hat einer aufgeräumt. Die Tote hatte keine Schuhe an. Vielleicht, wahrscheinlich sogar sind sie das. Sie passen zu dem Negligé, das sie trug.
Er bewegt sich auf Zehenspitzen, schaut dahin und dorthin. Rührt vorerst nichts an. Der helle Teppichboden ist makellos sauber. In einigem Abstand zum Sofa steht ein knapp mannshohes schmales Möbel, in das auf beiden Seiten Flachbildschirme eingelassen sind. Dem Sofa zugewendet befindet sich im Fach darunter eine Stereoanlage. Die paar CDs beinhalten ausnahmslos romantisches Zeug, wie Noldi feststellt. An den Schmalseiten stehen auf kleinen Regalen neben zwei, drei Büchern eine Vase und ein paar Nippes.
Das Möbel ist hell-dunkel gestreift und bildet eine raffinierte Raumtrennung. In der Ecke neben dem Fenster steht ein eleganter weißer Sekretär, dessen Klappe geschlossen ist. Daneben befindet sich ein ebenfalls weißer Rollschrank.
Als Noldi den Sekretär öffnet, findet er weder Computer noch Laptop und auch keine CDs, soweit er das in der Eile überblickt.
Auf dem Boden in der Ecke liegt ein Vorhang. Noldi hebt mit dem Handrücken die Ringe an. Sie sind intakt, der Stoff nicht beschädigt. Die Vorhangstange lehnt in der Ecke.
Berti oder ihre Putzfrau müssen den Vorhang abgenommen haben. Jedenfalls schaut das nicht nach Selbstmordabsichten aus. Denn wer denkt daran, einen Vorhang zu reinigen, wenn er sich umbringen will?
Er sieht sich weiter um, findet weder Handy noch Handtasche. Dann stellt er fest, dass der Telefon-Beantworter ohne Strom ist. Auch gespeicherte Nummern gibt es scheinbar keine. Bis er das Gerät umdreht und entdeckt, dass der Akku entfernt wurde.
Ganz schön clever, sagt er sich enttäuscht. Gerade von den Telefonnummern hat er sich einiges erhofft. Aber die sind weg. Er tröstet sich mit der Überlegung, dass er sich die Anruflisten auf dem Amtsweg beschaffen kann. Und feststellen, ob die Tote ein Handy besaß. Doch das dauert.
Oben auf dem Sekretär steht ein einziges Foto. Es zeigt ein lachendes kleines Mädchen mit einer Zahnlücke und einem Blumenkranz auf dem Kopf.
Das kann nur sie sein, denkt Noldi. Wie alt sie da war? Sechs, sieben, nicht mehr. Sie hat gerade ihren ersten Milchzahn verloren.
Er erinnert sich an seine Kinder, wie verschieden sie reagiert haben. Verena hat gebrüllt, als er ihr einen Zahn entfernen wollte, der schon ganz lose im Kiefer hing. Peter hat sich die Vorderzähne beim Fußball eingeschlagen. Pauli zog sich einen wackeligen Zahn, von der Lehrerin ermutigt, vor der ganzen Klasse. Plötzlich weiß Noldi nicht mehr, wie das bei seiner jüngeren Tochter war. Er kann sich an die Zahnlücken erinnern, nicht aber daran, wie sie entstanden sind. Fitzi, die Tüchtige, hat diese Angelegenheit in ihrer selbstverständlichen Art offenbar so erledigt, dass es keinem auffiel.
»Na du«, sagt er zu dem Foto, »wie war es bei dir?«
Es gelingt ihm nicht, eine Verbindung zwischen dem Kind auf dem Bild und der nackten Leiche im Wald herzustellen. Die Tote ist ihm fremd. Er weiß nichts über sie. Er kann sich nicht in sie hineindenken.
Er zählt im Geist auf, was er von anderen über sie gehört hat. Der Hauswart sagte, er habe sie nie mit geschlossenen Augen erlebt. Die Sekretärin im Tibet-Institut hatte den Eindruck, die Frau verstünde nichts von Buddhismus, habe viel gelacht, möglicherweise aus Verlegenheit. Der Gemeindeschreiber von Brütten hat mehr über den Vater geredet. Sagte nur, dass die Tochter ihn gepflegt hat.
Er hebt das Foto vorsichtig hoch, schaut, ob es einen Staubrand darunter gibt. Nichts.
Hatte sie eine Putzfrau? Ob er dafür Bankbelege finden wird? Die arbeitete womöglich, ohne ordnungsgemäß gemeldet zu sein.
Eine Arme war sie gerade nicht, die Berti, sinniert er vor sich hin. Wie sie diese Wohnung finanziert hat? Wahrscheinlich durch den Hausverkauf in Brütten. Und wovon hat sie gelebt? Vielleicht ist sie steinreich. Und wer erbt das alles? Die Frage kommt ihm zum ersten Mal. Aber wenn einmal feststeht, dass
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