Nachsuche
doch eine Adresse hinterlassen haben.«
»Hat sie nicht. Ich erinnere mich, sie hat gesagt, sie gehe erst einmal auf Weltreise und ihre Möbel seien im Depot. Der Verkauf des Grundstückes wurde in ihrer Abwesenheit von einem Notar abgewickelt.«
Im Moment kann sich der Gemeindeschreiber nicht an dessen Namen erinnern, verspricht jedoch, nachzuschauen und sich verlässlich zu melden.
Noldi dankt und beendet das Gespräch. Einen Augenblick lang ist er versucht, auf der Stelle nach Brütten zu fahren. Dann verwirft er den Gedanken, sagt sich, dort kann er im Moment kaum etwas ausrichten. Und Brütten laufe ihm nicht davon. Wenn er die Angaben des Gemeindeschreibers habe, könne er sich erst mit dem Notar in Verbindung setzen. Möglicherweise ist der in der Lage, die Leiche zu identifizieren. Das muss schließlich auch getan werden.
Höchst befriedigt von dem Stand der Dinge steigt Noldi ins Auto und fährt in Richtung Rapperswil. Er genießt die Fahrt. Der Tag ist grau, aber freundlich, feiner Nebel liegt über der Landschaft.
In Weesen angelangt, biegt Noldi auf den Parkplatz am See ein. Er stellt den Motor ab, bleibt noch einen Augenblick sitzen und schaut auf das bleigraue Wasser.
Weesen, denkt er, das ist ein anderer Ort als Brütten, sehr anders. Brütten liegt oben, Weesen unten am Walensee und rundherum sind Berge. Was Berti, wenn sie es ist, von Brütten hierher verschlagen hat? Die geschützte Lage und der Föhnausläufer aus dem Rheintal sorgen für ein extrem mildes Klima. Das macht Weesen zu einem beliebten Ferienort. Man kann es an den Hotels erkennen, die sich am Seeufer aneinanderreihen. Auch wohlhabende Rentner lassen sich gern hier nieder. So alt war Berti aber noch nicht.
Jetzt im November wirkt der Ort verwaist. Die Kastanienbäume der Promenade sind schon beinahe kahl. Die Sommersaison ist vorbei, die Wintersportsaison in Amden oben auf dem Berg hat noch nicht begonnen.
Kurz spielt er mit dem Gedanken, irgendwo einen Kaffee zu trinken und sich ein wenig umzuhören, doch dann entscheidet er sich anders. Er will so schnell wie möglich in die Wohnung. Vorausgesetzt, sagt er sich, er kommt überhaupt hinein. Er holt den Ortsplan hervor, den er sich ausgedruckt hat.
Berti Walters Adresse ist eine moderne Wohnanlage an der Straße nach Betlis mit Sicht auf den See. Sie besteht aus drei weißen Kuben, die zueinander versetzt in einer kleinen Gartenanlage stehen. Nicht ganz billig, schätzt Noldi.
Er sucht den Hauswart, zeigt seinen Ausweis, dann das Foto der Toten und der Mann nickt.
»Ja, das könnte sie sein«, sagt er zögernd.
Noldi fragt irritiert: »Aber sicher sind Sie nicht?«
»Doch«, antwortet der Mann langsam, »doch. Sie schaut nur anders aus. Ich weiß nicht, vielleicht liegt es daran, dass ihre Augen zu sind. Ich habe sie nie mit geschlossenen Augen gesehen.«
»Sie ist tot«, sagt Noldi.
Der Hauswart schweigt einen Moment, dann sagt er mit belegter Stimme: »Mein Gott, was ist passiert?«
»Ein ungeklärter Todesfall«, erklärt Noldi kurz und fragt, was der Hauswart über Berti Walter weiß.
Sie habe sehr zurückgezogen gelebt, berichtet der Mann. Man hätte sie im Haus kaum gesehen. Vielleicht einmal im Lift. Aber auch dort hätte man nicht mehr als Grüezi und Adieu gesagt.
»Mussten Sie nie irgendwelche Reparaturen in der Wohnung ausführen?«, fragt Noldi.
Doch es stellt sich heraus, dass die Hausverwaltung dafür eine eigene Equipe beschäftigt. Alles hier wird sehr diskret abgewickelt. Noldi notiert die Adresse der Liegenschaftsverwaltung.
Dann sagt er, jetzt würde er sich gern in der Wohnung umschauen.
Der Hauswart holt bereitwillig den Schlüsselbund aus seinem Büro, fährt mit ihm in den dritten Stock.
Auf dem Schild an der Tür steht nur B. Walter.
Zuerst läuten sie, warten eine Weile, horchen, läuten noch einmal. Dann tritt der Hauswart vor. Die zwei Schlösser sind so neu wie die ganze Anlage. Der Mann hat die richtigen Schlüssel dabei, öffnet, ängstlich, wie es Noldi scheint.
Er wirft einen Blick durch die Tür. Die Wohnung wirkt sauber und aufgeräumt. Alle Türen stehen offen.
»Ich geh’ dann«, sagt der Hauswart. »Wenn Sie mich brauchen, ich bin unten.« Und verschwindet eilig mit seinem grauen Arbeitskittel wieder im Lift.
Noldi klopft laut und vernehmlich an die offene Tür.
»Frau Walter!«, ruft er.
Niemand meldet sich.
Er zieht dünne Gummihandschuhe an und stülpt Plastiksäcke über die Füße. Er gratuliert sich, dass er daran
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