Nachsuche
verblüfft als betroffen ist, wie er da vor der Toten steht.
»Sie ist es. Tatsächlich«, sagt er und tritt zurück.
Während er sich schon zum Gehen wendet, reibt er sich die Hände, als würde er sie waschen.
»Moment«, sagt Noldi und taucht gerade noch rechtzeitig aus seiner Verwirrung auf. Er muss unbedingt die Fragen klären, mit denen er sich die letzten Tage herumgeschlagen hat.
Niederöst dreht sich um.
»Ihre Fußsohlen«, sagt Noldi, »ich muss ihre Fußsohlen sehen. Kann man feststellen, ob sie barfuß unterwegs war? Darüber steht nichts im Obduktionsbefund. Und kann ich mir die Einstiche anschauen? «
Der Pathologiegehilfe, der die Leiche bereits zurück ins Kühlfach schieben wollte, deckt sie kommentarlos wieder ab. Noldi geht um die Bahre herum und mustert die nackten Sohlen. Sie sind unversehrt und sehen nicht so aus, als wäre Berti oft bloßfüßig gegangen, schon gar nicht im Wald. Dann wendet er sich dem Körper zu. Er vermeidet den Blick auf das dunkelrote Y auf dem Leib der Toten, meidet geflissentlich auch den Anblick der Scham und konzentriert sich auf den rechten Oberschenkel.
»Doktor«, sagt er, »Sie sind der Experte. Sie ist an einer Überdosis Insulin gestorben. Das steht im Bericht. Deshalb möchte ich wissen, ob man das Alter der Einstiche erkennen kann.«
Auch Niederöst beugt sich vor. »Kaum«, antwortet er wenig hilfreich.
»Lässt sich feststellen, in welcher Reihenfolge sie gesetzt worden sind? Welches der Letzte ist?«, bohrt Noldi weiter. Er ist nicht bereit, kampflos aufzugeben.
»Gibt es eine Möglichkeit, herauszufinden, ob sie vor ihrem Tod mehr gespritzt hat als normal?«
»Im Klartext heißt das«, korrigiert ihn Niederöst trocken, »Sie wollen wissen, ob jemand ihr die Überdosis verpasst hat.«
»Ja«, antwortet Noldi. »Andere Einstiche als die auf dem Oberschenkel gibt es anscheinend nicht, jedenfalls wird nichts davon im Bericht erwähnt.«
Auf dem Gesicht des Doktors zeigt sich die Andeutung eines Lächelns.
»Sie sind unzufrieden mit dem Bericht?«
»So würde ich es nicht nennen«, beeilt sich Noldi zu versichern. »Ich hätte nur gern gewusst, weshalb die Frau gestorben ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich selbst umgebracht hat, so wie wir sie gefunden haben.«
»Wenn nichts im Bericht steht, sagt Niederöst, dann gibt es keine weiteren Einstiche. Das sind die ersten Untersuchungen, die an einer Leiche vorgenommen werden, wenn es sich um einen ungeklärten Todesfall handelt: Einwirkungen von äußerer Gewalt, Hiebe, Stiche, Schläge, Schussverletzungen. Und heutzutage achtet man selbstverständlich auch auf Injektionsspuren.«
Noldi wiederholt seine Fragen über das Alter und die Reihenfolge der Einstiche. Er will wissen, wie oft sie am Tag spritzen musste und ob man abschätzen könne, wie lange man solche Einstiche sieht.
»Nehmen wir an«, sagt er, »man sieht sie eine Woche und die Frau hat einmal am Tag gespritzt, dann dürften nicht mehr als sieben oder acht zu sehen sein. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Ja, aber das ist ein schwieriges Kapitel. Selbst wenn Sie mehr Einstiche nachweisen, kann es durchaus sie selbst gewesen sein, die sie sich zugefügt hat. Selbstmord, ein Irrtum, was auch immer. Damit kriegen Sie Ihren Mörder nie.«
»Darauf«, sagt Noldi, »lasse ich es ankommen. Ich will einfach wissen, woran ich bin.«
»Sie hat einmal am Tag gespritzt und zwar am Morgen«, erklärt Niederöst. »Ich habe ihr geraten, es regelmäßig um dieselbe Zeit zu machen. Sie musste aber zusätzlich spritzen, wenn sie sich einen Exzess geleistet hatte. Was bei ihr nicht selten war. Da hat sie dann einen halben Wecken Brot auf einmal verschlungen oder drei Stück Kuchen, und auch mit Alkohol hatte sie ein Problem.«
»Einverstanden«, gibt Noldi zu. »Aber falls es einen Einstich gibt, der nicht von ihr stammt? Sie hat doch immer an derselben Stelle gespritzt.«
»Wenn nichts im Bericht steht«, wiederholt der Doktor leicht erheitert über Noldis Hartnäckigkeit, »gibt es keine anderen Einstiche.«
Noldi denkt, der macht sich lustig über mich. Hitzig sagt er: »Allein der Ort, an dem sie gefunden wurde, beweist, dass zumindest eine weitere Person im Spiel gewesen sein muss.«
»Ja, das leuchtet ein«, stimmt Niederöst ihm zu.
»Und wenn derjenige an derselben Stelle gespritzt hat wie sie, muss es jemand gewesen sein, den sie nahe genug an sich herangelassen hat.«
»Sie kann geschlafen haben«, wendet Niederöst
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