Nachsuche
der Kanzlei im zweiten Stock glänzt dezent das Messingschild, auf dem nur steht: Göpf Kläui, Notar. Daneben unter der Klingel die Aufforderung zu läuten und einzutreten. Als Noldi die Tür öffnet, fällt sein Blick sofort auf das wunderbare alte Stehpult aus Kirschbaum. Im Gegensatz dazu ist die übrige Einrichtung der Kanzlei modern. Dadurch erhält das antike Möbelstück einen besonderen Reiz.
Fast wehmütig denkt Noldi, das könnte ein Fund aus dem Brockenhaus in Wila sein. Schade, dass nicht er ihn gemacht hat. Dort stehen heutzutage die schönsten alten Stücke zu günstigen Konditionen herum. Jedes Mal, wenn er ins Brockenhaus nach Wila geht, jammert Meret, man wisse nie, was er von dort wieder anschleppe. Wo ihr Haus doch bereits mit Möbeln vollgestopft sei.
Die eigentliche Kanzlei wird, ähnlich wie das Polizeikommando Turbenthal durch einen Korpus geteilt, nur dass dieser hier viel moderner und nicht so verstaubt ist. Vorne befindet sich der Empfangsbereich, dahinter ein geräumiges Büro mit drei Arbeitsplätzen, Computerbildschirmen, an denen ausschließlich Frauen sitzen. Zwei sind jung, eine bereits im reifen Alter.
Letztere steht auf, sobald sie Noldi bemerkt, kommt an den Tresen und fragt, ob er einen Termin habe. Noldi bejaht und weist sich aus. Darauf bittet sie ihn um ein wenig Geduld.
Der Herr Notar, sagt sie, sei in einer Minute so weit.
Sie ist eine füllige, gepflegte Frau um die fünfzig, mit blonden makellos frisierten Haaren. Ihr grauer Pulli hat einen großzügigen Ausschnitt, sodass man den Ansatz ihrer nicht mehr ganz straffen Brüste sieht. Um ihren Mund meint Noldi einen Hauch von Unzufriedenheit und Resignation zu erkennen.
Die erwartet nichts mehr vom Leben, denkt er und mahnt sich sofort zur Vorsicht. Nur keine voreiligen Schlüsse, sie sind der Untergang jedes Kriminalisten.
Die Minute des Herrn Notar dauert lang. Noldi beobachtet die zwei jungen Frauen an den Bildschirmen, wie sie da ihre Berichte, Eintragungen in Katasterpläne, Briefe und wohl auch Rechnungen tippen. Einmal steht eine auf, stöckelt durch den Raum, holt einen Ordner, blättert, trägt etwas ein und versorgt ihn wieder, setzt sich, während die andere am Telefon Auskunft gibt. Beide sind gut gekleidet, die eine sehr modisch, die andere eher sportlich.
Dann öffnet sich eine Türe und der Notar steht vor ihm. Er ist ein hagerer Mann Mitte sechzig, ein Bürohengst, denkt Noldi, gepflegt, kahl, trotz der kühlen Jahreszeit hemdärmelig.
Er bedauert, dass er Noldi habe warten lassen, doch bei ihm jage derzeit ein Termin den anderen.
Sein Händedruck ist fest, und Noldi ergänzt eilig seine Einschätzung, der sitzt nicht nur am Schreibtisch. Er tippt auf Gartenarbeit.
Kläui bittet ihn in sein Büro. Es ist ein kleiner Raum mit wenigen modernen Möbeln. Auf dem Schreibtisch finden sich neben einigen Aktenstößen die üblichen Silberrahmen mit Fotos, von denen Noldi nur die Rückseite sehen kann. Eine halb offene Tür in der gegenüberliegenden Wand gibt den Blick in ein geräumiges Sitzungszimmer frei. Daneben in der Ecke stehen auf einem Beistelltisch Thermoskrug und Geschirr.
»Kaffee?«, fragt Kläui.
»Gern«, antwortet Noldi und der Notar schenkt eine Tasse mit einer tiefschwarzen Brühe voll.
»Milch und Zucker?«, fragt er.
Noldi nickt, bekommt auf einem kleinen Tablett Zuckerdose und Milchkännchen hingestellt. Dann fehlt nur noch der Löffel, doch auch der findet sich. Endlich setzt sich Kläui ihm gegenüber und schaut ihn an.
»Was ist mit Berti Walter?«, fragt er.
Noldi kann nicht erkennen, ob der Mann über ihr Verschwinden im Bilde ist oder nicht.
»Sie ist tot«, sagt er deshalb gerade heraus.
Der andere erstarrt für einen Augenblick, den Löffel in der erhobenen Hand. Mehr ist ihm nicht anzumerken.
Logisch, Noldi denkt, er ist Notar, der hat sich im Griff. Das gehört zum Beruf.
Dann sucht Kläui seinen Blick. »Was ist geschehen«, fragt er, »dass sich die Polizei damit beschäftigt?«
»Es handelt sich um einen ungeklärten Todesfall«, antwortet Noldi vorsichtig.
Darauf reagiert der Notar mit der Bemerkung: »Sie war zuckerkrank.«
»Das wissen wir«, sagt Noldi. »Sie ist an einer Überdosis Insulin gestorben. Kann sie sich umgebracht haben?«
»Nein«, sagt Kläui heftig, dann zögert er. »Ich weiß nicht. Vielleicht. Ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen.«
»Gibt es ein Testament?«, will Noldi wissen.
»Nein«, antwortet der Notar. »Zumindest nicht
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