Nachsuche
Außerdem will er es sich im Moment mit Niederöst nicht verderben. Vielleicht braucht er seine Hilfe. Aber eines kann er sich nicht verkneifen.
Er sagt: »Sie haben nicht wahrhaben wollen, dass die Tote Berti Walter ist.«
»Wie kommen Sie darauf?«, fragt Niederöst zurück.
Vielleicht um Zeit zu gewinnen, denkt Noldi. Er antwortet: »Auf mich haben Sie in der Pathologie den Eindruck gemacht, als seien Sie eher erstaunt.«
»So«, sagt Niederöst langsam. »Kann sein. Ich glaube es jetzt noch nicht, dass sie einfach so weg ist.«
Noldi sagt: »Nicht einfach so. Sie wurde ermordet.«
Der Doktor hat plötzlich eine Kröte im Hals. Er räuspert sich.
»Ja, aber …«
»Glauben Sie wirklich«, fällt Noldi ihm ins Wort, »sie ist allein dort in den Wald geraten, ohne Schuhe, nur in Unterhosen?«
»Nein«, gibt der andere zu. »So habe ich es nicht gemeint.«
»Wie dann?« Noldi lässt jetzt nicht mehr locker.
»Ich weiß«, sagt Niederöst langsam, »das klingt jetzt alles nicht sehr professionell. Aber ich kann Ihnen im Moment auch nicht helfen.«
»Irgendetwas ist da doch?«
Niederöst fährt auf. »Sie werden nicht erwarten, dass ich mein Innenleben vor Ihnen ausbreite, nur weil Sie Polizist sind.«
»Hatten Sie eine intime Beziehung zu ihr?«, fragt Noldi. Er weiß, es ist gewagt, aber er riskiert es.
»Nein«, sagt der Doktor knapp, jetzt ruhiger als vorher. »Sie war nicht mein Typ.«
Noldi glaubt ihm das. Er kann sich den eleganten Arzt auch nicht recht mit der plumpen, unscheinbaren Frau vorstellen.
Den Rest der Fahrt legen sie schweigend zurück. Der Verkehr auf der Autobahn ist über Mittag schwach. So kann Noldi rekapitulieren, was er bis jetzt in Erfahrung gebracht hat.
Erstens, sagt er sich, es muss jemand gewesen sein, der weiß, dass sie Diabetes hat. Zweitens muss er mit Injektionen umgehen können. Selbst einer, der ihr die Überdosis hinterrücks hineinjagt, muss mit Spritzen vertraut sein. So viel steht für Noldi fest. Jemand, der mit so etwas noch nie zu tun gehabt hat, schafft das nicht. Drittens, da es keine Einstiche außer auf ihrem Oberschenkel gibt, muss sie den Täter an sich herangelassen haben. Das, denkt Noldi, grenzt die Möglichkeiten ein. Er ist also entweder Arzt, Krankenschwester oder sonst jemand aus dem medizinischen Bereich. Oder ein Liebhaber. Jedenfalls muss er Berti gut genug gekannt haben, um zu wissen, dass und wo sie spritzt. Und sie muss zugelassen haben, dass er ihr eine Spritze verabreicht. Halt, denkt er, es steht nicht fest, ob es ein Mann war. Andererseits, eine Frau kann sie kaum dort in den Wald geschleppt haben. Abwehrverletzungen gibt es keine, also hat sie sich nicht gewehrt. Und wenn sie es doch selber war? Aus Versehen oder Absicht? Ausschließen lässt sich das immer noch nicht. Aber warum, zum hundertsten Mal, sie überhaupt in den Wald werfen? Da fällt ihm plötzlich der Traktor wieder ein. Schon länger vermutet er, dass Bertis Leiche auf dem Traktor mit dem Holz-Greifer transportiert worden ist. Den, hat der Gottfriedli Klingler gesagt, kann nur einer fahren, der sich wirklich auskennt. Das heißt, er hat noch zwei Kandidaten: Kevin Pfähler vom Blechparadies und Eduard Rüdisühli, den Landwirtschaftsmaschinenvertreter. Da sie keine Ärzte sind, gehören sie eher in die Kategorie Liebhaber.
9. Handy weg
Kaum ist Niederöst in Winterthur ausgestiegen, holt Noldi den Zettel mit der Telefonnummer des Notars aus dem Hosensack und ruft dort an.
Er erreicht diesen Göpf Kläui schon beim ersten Versuch. Die Sekretärin verbindet ihn, ohne eine Frage zu stellen.
Glück gehabt, denkt Noldi, und das zum zweiten Mal an einem Tag. Erst erwischt er den Doktor, der die Leiche identifiziert, und jetzt noch den Notar, der ihm sicher auch einiges erzählen kann.
Da meldet der Mann sich bereits.
»Kläui«, sagt er. Seine Stimme ist tief, sicher und fest.
»Oberholzer von der Kantonspolizei Winterthur«, antwortet Noldi und sagt seinen Spruch auf.
Es gehe, erklärt er, um Adalberta Walter. Ob der Herr Notar eine Viertelstunde für ihn erübrigen könne. Er brauche Auskünfte im Zuge einer Ermittlung.
Kläui fragt nicht viel, sondern bestellt ihn auf Nachmittag um vier.
Noldi betritt die Kanzlei pünktlich. Sie befindet sich in einem Neubau an der Palmstrasse. Der Weg ins Haus führt durch den schmalen Vorgarten, in dem auf der einen Seite Fahrräder dicht gedrängt in der Halterung stehen, auf der anderen ein paar magere Büsche. An der Tür
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