Nachsuche
Vormittag fast leer. In einer Ecke sitzen zwei Frauen und stecken die Köpfe zusammen. Hin und wieder fährt ein Auto vorüber. Der Himmel vor den Fenstern ist grau, die Kastanienbäume der Promenade inzwischen fast kahl.
Während Noldi auf seine Bestellung wartet, überlegt er.
Wenn er ehrlich ist, kann er sich Pfähler nicht als kaltblütigen Mörder vorstellen. Aber bei wem kann man das? Gedankenverloren rührt er in seinem Espresso.
Schildknecht schien nicht den leisesten Zweifel zu haben. Das würde heißen, Berti steckte in dem Container samt den Habseligkeiten aus ihrer Wohnung. Und wo sind sie gelandet? Im Blechparadies? Oder hat Kevin sie irgendwo versteckt? Aber wo? Vermutlich sind sie längst in der Müllverbrennungsanlage verschwunden. Warum, in aller Welt, hat er sie überhaupt mitgenommen? Dann ist da noch die Sache mit dem Auto. Von einer Reinigungsfirma, hat Schildknecht gesagt.
Obwohl er lieber sofort nach Sirnach gefahren wäre und Kevin auf den Kopf zu gesagt hätte, dass man ihn am Tag von Bertis Tod in Weesen gesehen hat, kehrt er nach Turbenthal zurück. Es wird schon fast zur Gewohnheit, denkt er, dass er sich hinter seinen Schreibtisch verkriecht. Früher hat er sich nur hingesetzt, wenn er endlich wieder einmal die lästige Schreibarbeit erledigen wollte oder musste.
Er startet den Computer, sucht eine Reinigungsfirma in Sirnach und hat sofort Erfolg. Er wählt die angegebene Telefonnummer. Als sich eine Frauenstimme meldet, stellt er sich vor, sagt seinen Spruch auf und will wissen, wo die Firma ihre Autos warten lässt. Zu seiner Enttäuschung nennt die Frau eine unbekannte Garage. Er fragt noch einmal nach, aber er hat sich nicht verhört. Deshalb erkundigt er sich zur Sicherheit, welche Farbe ihre Autos hätten.
»Gelb«, antwortet sie.
»Wie gelb, eher weiß oder?«
»Knallgelb«, entgegnet sie.
Noldi legt auf.
Wäre zu schön gewesen, denkt er. Was jetzt? Muss er anfangen, in Weesen und Umgebung nach einer Reinigungsfirma zu suchen? Oder sollte er nicht doch gleich nach Sirnach fahren und Kevin mit der Aussage von Willibald Schildknecht konfrontieren? Er nimmt knurrend das Telefonbuch von Weesen und Umgebung vor, klappert pflichtbewusst die Reinigungsfirmen ab. Viele sind es zum Glück nicht. Bei jeder fragt er, ob sie am 10.11. einen Auftrag an der Betlisstrasse gehabt hätten. Dann will er noch die Farbe ihrer Autos wissen. Die Antworten sind alle negativ.
Als er nach dem letzten Anruf auflegt, läutet sein Telefon.
Corinna Pfähler ist am Apparat.
»Ich bin Ihnen noch eine Geschichte schuldig. Wollen Sie die hören?«, fragt sie. »Ich würde sie Ihnen gerne erzählen, aber nicht bei mir zu Hause.«
Noldi ist sofort einverstanden. So treffen sie sich in dem Café in der Nähe ihres Fitnessstudios.
Corinna hieß in ihrem früheren Leben David. Die Mutter verließ den Vater des Jungen, noch bevor das Kind zwei Monate alt war. Sie fand heraus oder bildete sich zumindest ein, dass er sich, während sie hochschwanger war, mit einer anderen im Bett gewälzt hatte. Aus Hass auf ihren Mann nahm sie gleich nach der Scheidung ihren Mädchennamen wieder an und bestand darauf, dass auch der Junge heißen sollte wie sie. David sah seinen Vater kaum und hatte auch kein Bedürfnis danach. Von seiner Mutter hörte er täglich immer die gleiche Litanei, was für ein Saukerl dieser Mann sei und wie schlecht er sie behandelt habe. Die Frau trieb es in der ersten Zeit nach der Trennung ziemlich bunt. Sie trank und hatte jede Menge Männer. Da waren ein paar ganz üble Typen darunter. Um ein Haar hätte das Sozialamt ihr das Kind weggenommen. Doch dann kam Hugo. Der war ganz anders, klein, fein, kaum Bart, aber eine Seele von einem Mann. Er wurde für David der eigentliche Vater. Sie waren eine richtige Familie.
Mit fünfzehn hatte David seine erste Freundin, ein Schulmädchen, kaum vierzehn. Ihre Eltern kümmerten sich nicht um die Tochter. Ihnen genügte, dass sie plötzlich bessere Noten nach Hause brachte, weil David jeden Tag mit ihr lernte. Seine Mutter und Hugo behandelten das Mädchen bald als Familienmitglied.
Als David siebzehn war, brauchte er aus irgendeinem Anlass dringend Geld und konnte den Schlüssel zu seiner Kasse nicht finden. Er nahm in der Eile einen Schraubenzieher und brach das Ding auf. Erst als er Hugos Pass sah, bemerkte er den Irrtum. Er hatte die Kassette demoliert, die Hugo gehörte. David wunderte sich, dass der Vater den Pass wegsperrte. Als er ihn
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