Nachsuche
durchblätterte, verstand er, warum. Hugo hieß in Wirklichkeit Eva Maria.
Für David war das ein harter Schlag.
»Sie müssen sich vorstellen«, sagt Corinna zu Noldi, »was das heißt, plötzlich zu erfahren, dass der Mann, der einem während der Pubertät ein Vorbild war, in Wirklichkeit eine Frau ist.«
Und David blieb mit diesem Wissen völlig allein. Er konnte sich niemandem anvertrauen. Weder Hugo, von dem er geglaubt hatte, er wäre sein Vater, und noch weniger der Mutter, die eine Lesbe war.
Er fraß das ganze Elend, die furchtbare Orientierungslosigkeit in sich hinein, wurde grob und aggressiv. Das vergiftete die Atmosphäre in der Familie, aber auch seine eigene Beziehung. Ein paar Monate später lief ihm die Freundin davon. Von da an mied er Frauen, interessierte sich aber auch nicht für Männer. Mit zweiundzwanzig, teilte er seiner Mutter mit, er wolle lieber eine Frau sein. Er hätte nicht sagen können, warum. Es war einfach so. Seine Mutter erklärte sich sofort bereit, ihm zu helfen.
»Ich glaube«, sagt Corinna nachdenklich im Café zu Noldi, während sie mit ihrem Finger Kringel auf die Tischplatte malt, »ihr war es recht, nicht durch einen Sohn an den Mann erinnert zu werden, den sie immer noch als treulosen Schurken bezeichnete.«
»An jenem Abend damals«, fährt Corinna fort, »redeten die Mutter und sie noch lange miteinander.«
David empfand zum ersten Mal seit Jahren wieder so etwas wie Nähe zu ihr. Hugo war auch jetzt kein Thema. Seit der Sache mit der aufgebrochenen Kassette hatte sich das Verhältnis zwischen ihm und dem Pflegesohn stark abgekühlt.
»Eine Geschlechtsumwandlung ist kein Kinderspiel«, erklärt Corinna. »Im Gegenteil, es ist eine ziemliche Quälerei, nicht nur wegen der Operationen, sondern wegen der Ungewissheit.«
Es dauerte zwei Jahre, bis es so weit war. David stand alle Untersuchungen und psychologischen Tests durch.
»Aber«, sagt Corinna, »es gab Phasen, da zweifelte er an allem, an sich, an der Welt und an dem, was er sich angetan hatte. Die Mutter stand ihm immer bei, mit Trost und Zuspruch, vor allem aber mit Geld.«
Die nötigen Operationen erwiesen sich als teurer Spaß. Die Familie war finanziell nicht auf Rosen gebettet. David selbst hatte eine Lehre als Maler und Gipser absolviert. Sein Lohn erlaubte keine großen Sprünge. Außerdem musste er vor dem Eingriff ein Jahr lang als Frau leben. In dieser Zeit konnte er nicht in seinem Beruf arbeiten. Er ging stempeln, verdiente sich da und dort etwas dazu, indem er in billigen Shows als Transvestit auftrat. Er verabscheute das falsche Getue und die schwulen Männer, die sich an ihn heranmachten. Er wollte nicht sein wie eine Frau. Er wollte eine Frau sein.
Als endlich der Zeitpunkt für die Operation feststand, war er mit den Nerven am Ende. Dazu kamen noch die Panikanfälle, die Angst, wenn etwas schief gehen sollte, im Niemandsland zwischen Mann und Frau zu landen. Dagegen schien der körperliche Schmerz fast ein Kinderspiel.
Aber dann, nach etlichen Operationen, war David nicht nur eine Frau, sondern eine sehr schöne dazu. Sie sollte Corinna heißen. Es gab noch einmal ein Geläuf wegen der Papiere, Namens- und Geschlechtsänderung. Schließlich mietete Corinna eine Einzimmerwohnung in Zürich und eröffnete dort einen Massagesalon. Das hatte David sich schon vorher überlegt. Es war die einzige Möglichkeit, die Schulden bei den Eltern und der Bank innert nützlicher Frist zu begleichen. Und außerdem die Gelegenheit, sich als Frau sozusagen zu testen. Eine gute Übung, ohne dass ihr die Männer gleich zu nahe kamen. Neugierig beobachtete sie sich und die Reaktionen ihrer Kunden bei der Arbeit und legte sich mit einem nur hin, wenn ihr wirklich danach war.
Dann kam Kevin. Er verliebte sich im ersten Augenblick. Am nächsten Tag war er wieder da und dann eine Woche lang täglich. Samstag, Sonntag hatte sie geschlossen. Am Montag stand er schon früh am Morgen mit Rosen vor der Tür. Er machte ihr einen Heiratsantrag. So etwas hätte sich Corinna nie träumen lassen. Obwohl sie fast geweint hätte, sagte sie nur vorsichtig: »Das muss ich mir überlegen.«
Murrend willigte er ein, ihr Bedenkzeit zu geben. Sie überdachte alles ganz genau. Kevin war der beste ihrer Kunden. Was sonst noch kam, konnte sie getrost vergessen. Und dass bald ein Besserer als er erscheinen würde, glaubte sie nicht. Also ging sie über die Bücher. Sie hatte noch Schulden, aber die hielten sich in Grenzen. Nach
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