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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Melodia
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auswirken.«
    Jetzt bin ich erst recht misstrauisch. Agatha lässt niemanden in dieses seltsame Haus, noch nicht einmal eine enge Freundin der Tante. Warum? Nur, um sie vor Bazillen zu schützen?
    »Warum stellst du mir all diese Fragen, Liebes?«
    »Agatha fehlt oft in letzter Zeit, und ich mache mir Sorgen um sie. Das ist alles.«
    »Gut. Ich hätte nicht gedacht, dass sie Freunde hat. Sie ist ein so verschlossenes Mädchen.«
    Sie sieht mich mit ihren großen schwarzen Augen an und wartet darauf, dass ich ihre Aussage bestätige.
    »Das stimmt«, sage ich. »Sie hat nicht viel Umgang mit anderen.«
    »Zuweilen ist sie sogar gewalttätig …«
    Ich sehe sie überrascht an. »Wie meinen Sie das?«
    Die Frau ringt sich dazu durch, mit einem Knopfdruck das Tor zu öffnen.
    »Es ist schon eine Weile her, fast ein Jahr. Ich bin hinübergegangen, um Nives zu besuchen. Zuerst habe ich geklingelt, aber niemand hat aufgemacht. Also habe ich schließlich mit dem Schlüssel aufgeschlossen, den sie mir einmal gegeben hat, lange bevor Agatha bei ihr eingezogen ist. ›Man weiß ja nie, was einer alleinstehenden Frau so zustoßen kann‹, hatte sie damals gemeint. Ich weiß noch, dass es im Haus komisch gerochen hat, wie nach Medizin, aber vermischt mit irgendwelchen offen gelassenen Putzmitteln. Ich hatte noch nicht einmal Zeit, nach Nives zu rufen, da erschien Agatha schon wie eine Furie und warf mich buchstäblich hinaus, schrie mich an, mich nie wieder blicken zu lassen. Ich war vollkommen schockiert. Später …«
    »Später?«
    »Später ist sie zu mir gekommen, um sich zu entschuldigen. Sie rechtfertigte sich damit, dass sie sehr besorgt um ihre Tante sei, und bat mich, nie wieder so unvorsichtig zu sein, einfach ins Haus zu gehen, ohne es vorher mit ihr abzusprechen. Sie kam mir sehr zerknirscht und wirklich besorgt um die arme Nives vor, also verzieh ich ihr. Doch seitdem habe ich nie wieder einen Fuß in das Haus gesetzt. Der liebe Gott allein weiß, wie es meiner Freundin tatsächlich geht.«
    Ich höre heraus, dass auch sie so ihre Zweifel hat.
    »Denken Sie, dass Agatha nicht die Wahrheit sagt?«
    »Ach, das habe ich nicht gemeint … Aber es ist schon merkwürdig, dass nur sie sich um ihre Tante kümmert.«
    »Kommt nicht auch noch eine Pflegerin vorbei?«
    »Die habe ich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen. Vielleicht hat sie ganz andere Zeiten als ich. Außerdem wohne ich nicht gegenüber, so dass es schon möglich ist, dass wir uns nie begegnen.« Doch das scheint sie selbst nicht zu überzeugen.
    In das entstandene Schweigen hinein schlägt die Glocke der Alten Kirche zwölf Mal.
    »Du lieber Himmel, es ist schon Mittag! Ich muss mich beeilen, meine Liebe, sonst verspäte ich mich mit dem Mittagessen, was mein Mann gar nicht leiden kann. Bis bald«, sagt sie, schon im Gehen.
    »Machst du bitte die Gartenpforte zu?«, ruft sie noch.
    Ich tue es und sehe ihr noch einen Augenblick nach, bevor mir einfällt, dass auch auf mich ein Mittagessen wartet.
    Als ich zu dem Platz an der Alten Kirche komme, steige ich in den erstbesten Bus. Ich setze meine Kopfhörer auf, schalte die Musik ein und lasse den Blick aus dem Fenster schweifen. Für eine Weile versuche ich, alles zu vergessen. Ich mache meinen Kopf ganz leer. Das Theater, das Einkaufszentrum und, in der Ferne, das Naturwissenschaftliche Museum ziehen an mir vorbei. Jetzt bin ich in der Nähe meiner Schule. Ich muss wieder an die Worte von Agathas Nachbarin denken. Auch sie hat das Gefühl, dass da etwas nicht stimmt. Aber vermutlich will sie weiteren gewaltsamen Reaktionen von Agatha aus dem Weg gehen. Sie hat Angst. Ich erinnere mich daran, wie ich mich in diesem gespenstischen Haus gefühlt habe, an die Beklemmung, die mich zusammen mit diesem komischen Geruch überfiel. Mehr denn je bin ich davon überzeugt, dass die Wahrheit zwischen diesen modrigen Mauern zu finden ist.
    Die ruckelnde Fahrt führt am Eingangstor des Kleinen Parks vorbei. Das Grün der Bäume wirkt heute viel leuchtender und lebhafter. Der Bus hält, die Türen öffnen sich.
    Morgan! Tatsächlich, er ist es, er steht mit dem Rücken zu mir am Parkeingang. Und er ist nicht allein. Er spricht mit demselben dunkellockigen Mädchen, mit dem ich ihn vor einiger Zeit am Schultor gesehen habe. Ich kann ihn gerade noch gestikulieren sehen, ehe die Türen sich schließen und der Bus mich davonträgt. Ich beuge mich über die Sitze, um die beiden zu beobachten. Sie scheinen sehr vertraut

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