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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Melodia
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mich zukommen, und als ich ihr Mottenkugelparfüm schnuppere, öffne ich ihr die Tür.
    Sie hebt mir ihr von der Zeit gezeichnetes Gesicht entgegen und verzieht es zu dem brüchigen Lächeln eines kleinen Nagetiers. Ihr Lippenstift ist knallrot, wie bei den Filmdiven einer vergangenen Ära.
    »Danke, mein Engel«, raunt sie, erstaunt über diese kleine Freundlichkeit.
    Ich trete zur Seite, um zu vermeiden, dass mir ihre zitternde, mit braunen Flecken übersäte Hand über die Wange streichelt. Danach gehe ich auf den Engelmann zu.
    »Guten Tag, junge Dame«, begrüßt er mich. »Einen Augenblick, ich bin gleich bei Ihnen.«
    Er hantiert mit irgendwelchen Behältern unter der Theke und widmet mir dann, wie versprochen, seine ganze Aufmerksamkeit.
    Es ist nur leider so, dass ich gar keinen Wunsch habe.
    Das glaube ich zumindest. Ich sage es ihm und füge hinzu: »Ich sehe mich nur ein wenig um.«
    »Natürlich, gern. Wenn Sie mich brauchen, ich bin hier.«
    Ohne mit dem Lächeln aufzuhören, beginnt er, aus einigen Kartons Stapel von dicken Ringheften mit Schottenkaro-Einband herauszuholen.
    Um mich zu vergewissern, dass die Mädels noch nicht da sind, werfe ich einen Blick durch die Scheiben. Ein Regenvorhang macht alles trübe. Ich nehme mir die Zeit, die Schätze dieses Ladens in Augenschein zu nehmen. In den alten Holzregalen gibt es von allem etwas: Ordner aus Pappe, Fotoalben, Schreibhefte in verschiedenen Größen, Buntstifte, nach Farben geordnete Tuben mit Malfarben in einem Ständer, der so viele Fächer hat, wie Farben angeboten werden, und eine endlose Reihe von Stiften und Kulis in zylindrischen Behältern. Es sind die Stifte, die mich besonders anziehen, vielleicht beeinflusst von dem phantasievollen Schaufenster. Schwarze Stifte, blaue Stifte, rote Stifte. Ein Stück weiter die seriösen Füllfederhalter mit ihren langen Lanzenspitzen. Es gibt welche für jeden Bedarf und Anspruch, aus Holz, aus farbigem Kautschuk, mit Federn, mit Pailletten besetzt, mit Lackleder bezogen. Sie sehen aus wie winzige Waffen eines Koboldvolkes. Mein Blick schweift über sie hinweg und bleibt an dem letzten Stift am Ende der Regalreihe hängen. Er liegt in einem eigenen Etui mit violettem Futter und durchsichtigem Deckel. Auf den ersten Blick erinnert er mich an diese alten Stifte, die man mit der Messerklinge anspitzen musste. Doch in Wirklichkeit ist es ein extravaganter Füller, ganz aus glänzendem Metall und mit dreikantigem Körper. Er sieht aus wie ein Ding, das aus dem Weltall kommt.
    Ich streichele ihn mit den Augen, und dann, weil ich unmöglich widerstehen kann, berühre ich das Etui mit den Fingern.
    »Wenn er Ihnen gefällt, könnte ich Ihnen den Füllfederhalter zu einem guten Preis überlassen«, schlägt der Schreibwarenhändler vor.
    »Ehrlich gesagt, ich habe nicht die Absicht, ihn zu kaufen. Ich habe noch nie einen solchen Stift benutzt.«
    »Und ich wette, Sie haben auch noch nie so einen schönen gesehen.«
    »Nein …«, sage ich ein wenig zögernd. »Das ist wahr.«
    »Sie sind handgearbeitet und alle numeriert, sehen Sie?«, erklärt der Engelmann, öffnet die Schachtel und zeigt mir eine kleine eingravierte Zahl auf einer der drei Seiten des Stiftes: die 11 .
    »Er ist bestimmt sehr teuer, schätze ich …«
    »Wie viel könnten Sie denn ausgeben?«
    Fest davon überzeugt, dass er nur scherzt, zeige ich ihm, was ich in der Tasche habe. Es ist nicht viel.
    Er jedoch scheint zufrieden. »Perfekt. Das genügt.«
    Ich sehe ihn verdutzt an. »Sind Sie sicher? Das kommt mir wenig vor für einen solchen Füller.«
    »Das ist es auch. Aber … die Differenz können Sie selbst ausgleichen.«
    Überrascht zeige ich auf mich. »Ich?«
    Er lächelt. Mit ruhigen Gesten legt er den Stift in das Etui zurück und reicht es mir. »Füllfederhalter wie dieser sind unbezahlbar. Man muss sie lieben. Wer sie nicht zu benutzen weiß, bringt sie um, auch wenn er glaubt, sie sich leisten zu können.«
    »Sie machen mir Angst«, gestehe ich, nehme den Füller aber an.
    »Oh, nein, Sie brauchen keine Angst zu haben. Wirklich nicht. Sie werden sehen, dass Sie diesen Federhalter sehr gut gebrauchen können. Sollte ich mich irren … können Sie ihn jederzeit zurückbringen. Dann werde ich Ihnen das Geld erstatten.«
    Ich lasse den Füller in einer Jackentasche verschwinden und gehe ein wenig benommen aus dem Laden. Draußen durchfährt mich ein plötzliches Frösteln, aber nicht wegen des strömenden Regens. Ich spüre eine

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