Nacht
aufgebrochen hat, als ich im Sportunterricht war, und mir meinen Drachenring gestohlen hat.«
»Du lügst doch.«
»Warum sollte ich?«
»Der Ring mit dem Drachen ist in Scrooges Büro gefunden worden.«
»Eben, aber er war nicht an meinem Finger in der Nacht, als das Feuer gelegt wurde.«
»Und warum hast du das nicht Scrooge gesagt?«
»Meinst du, ich hätte es nicht versucht? Er hat mir nicht geglaubt. Die Schule brauchte einen Schuldigen, und ich war der ideale Sündenbock. Nur wegen diesem blöden Ring.«
»Ich dachte, dir liegt so viel an dem Ring.«
»Mir?«, schnaubt er. »Ich habe ihn bloß gefunden, und er hat mir mehr Ärger eingebracht als sonst was.«
»Wo … wo hast du ihn gefunden?«
»Was geht das dich an?«
»Sag mir, wo du ihn gefunden hast, Adam.«
»Beim See.«
»Welchem See?«
»Dem im Nordpark. Wo ich immer laufen gehe. Jemand wird ihn da verloren haben, und ich habe ihn aufgehoben. Das ist kein Verbrechen.«
Der See im Nordpark.
Panik würgt mich. Nein, das kann nicht sein.
»Warte mal … Soll das heißen, du bist nicht verantwortlich für das Desaster in Scrooges Büro?«
»Pass auf, wenn man dich mit mir sprechen sieht, riskierst du, ebenfalls vom Unterricht ausgeschlossen zu werden.«
»Hast du das Feuer im Büro gelegt oder nicht?«
Er lacht. »Für wie blöd hältst du mich? Selbst wenn ich so etwas gemacht hätte, hätte ich dort bestimmt keine Visitenkarte mit der Notiz ›Das war ich‹ zurückgelassen.«
Da hat er natürlich recht. Ich war immer davon ausgegangen, dass der Ring ihm versehentlich vom Finger gerutscht ist, weil ich nichts von dem aufgebrochenen Spind wusste.
»Mal angenommen, ich glaube dir, Adam – wenn du es nicht warst, wer dann?«
»An deiner Stelle würde ich mich vor meiner Gefolgschaft hüten.«
»Sprichst du von meinen Freundinnen?«
Adam nickt.
»Agatha?« Der Name rutscht mir heraus wie eine Fliege, die nach stundenlangem Kampf gegen eine Fensterscheibe endlich den Ausgang findet.
»Hundert Punkte!«
»Du spinnst doch. Sie kann es nicht gewesen sein.«
»Du bist dümmer, als ich dachte. Einer von meinen Klassenkameraden hat sie um meinen Spind herumscharwenzeln sehen, an dem Tag, an dem er aufgebrochen wurde.«
»Das ist kein Beweis.«
»Nein, aber ein Indiz.«
»Warum hast du sie nie angezeigt?«
Er lacht nervös.
»Willst du wirklich wissen, warum? Weil diese Frau total durchgedreht ist. Als ihr mich unten am Fluss erwischt habt …«
»Das war, weil du …«
»Psst! Ich weiß, warum. Aber … ich bin sicher, dass sie nicht aufgehört hätte, wenn du nicht da gewesen wärst. Agatha wäre so weit gegangen, mich …«
Ich lasse ihn den Satz beenden.
»Umzubringen.«
Ein bleiernes Schweigen senkt sich zwischen uns. Adam hat ausgesprochen, was ich schon seit Wochen insgeheim gedacht habe. Ich stelle ihm eine letzte Frage.
»Warum wolltest du den Papierdrachen unter ihr Pult tun?«
»Um ihr mitzuteilen, dass ich Bescheid weiß.«
Eine Botschaft an Agatha ist also irrtümlich bei mir gelandet. Doch vielleicht hatte auch das seinen Sinn. Mit diesem Drachen in der Tasche habe ich zum ersten Mal in der Zebra-Bar mit Morgan gesprochen. Wo er mich vor Leuten, die das Drachensymbol tragen, gewarnt hat. Zu dem Zeitpunkt dachte ich an Adam, doch er war gar nicht der wahre Eigentümer des Rings. Der ursprüngliche Träger hatte ihn bei einem See verloren, in dem Park, in dem Halle ermordet wurde.
Plötzlich fängt mein Kopf wieder an weh zu tun. Ich halte mir die Schläfen.
»Was ist los mit dir?«
Ich sehe Adam an, den unschuldig Schuldigen.
»Geh in deine Klasse, Alma«, sagt er. »Ich muss wieder an die Arbeit.«
Damit wendet er sich zu den Toiletten um. Ich sehe ihn mit anderen Augen. Erkenne eine Spur von Würde in ihm.
Nach diesem verstörenden Anfang verläuft der Vormittag ruhig.
In den Fluren, in der Eingangshalle, im Hof suche ich nach Morgan. Aber er ist nirgends zu finden.
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Kapitel 46
D as Telefon klingelt hinter der Tür, und natürlich kann ich meine Schlüssel jetzt nicht finden.
Niemand ist zu Hause.
Ich wühle in sämtlichen Taschen, bis ich sie endlich in der Hand halte, und schaffe es gerade noch abzunehmen, bevor das letzte Klingeln mir höhnisch vorhält, dass ich zu spät komme.
»Hier ist Roth, hallo.«
»Hallo.«
»Es gibt Neuigkeiten in den Mordfällen.«
»Super. Was für welche?«
»Lieber nicht am Telefon.«
»Wo wollen wir uns treffen?«
»Kannst du in der Redaktion
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